Gedanken zum weltweiten Rosenkranzgebet für ein Ende der Pandemie

Die Macht des Gebets

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14. Mai 2021

Im Drama der anhaltenden Pandemie, einer mühevollen und schwierigen Zeit, und angesichts einer – aufgrund der ökonomischen und sozialen Herausforderungen, die der Neubeginn nach Covid-19 mit sich bringen wird – besorgniserregenden Zukunft, spüren wir, dass wir die Hilfe von oben brauchen. Die Erfahrung unserer Zerbrechlichkeit und unserer Grenzen angesichts dieser tragischen Situation drängt uns, das Vertrauen in Gott wiederzufinden und mit dem Gebet an seine Tür zu klopfen, damit seine Hand uns zu Hilfe komme.

Daher wird die Initiative eines einzigartigen »Gebets-Marathons« oder einer »Gebets-Stafette«, die im Mai aus den Hauptwallfahrtsorten der Welt per Videoschaltung übertragen wird, überall mit großer Freude aufgenommen. Angesichts der großen Not und gravierender Schwierigkeiten unserer Zeit wurde von verschiedener Seite der Wunsch nach einer besonderen Gebetsinitiative geäußert. Denn man spürt die Notwendigkeit zusätzlicher Hilfe von oben in Bezug auf zwei Anliegen: für ein Ende der Pandemie, die weiterhin Opfer fordert, und für die Bewältigung der enormen Herausforderungen, die der Wiederbeginn nach Covid-19 mit sich bringen wird.

Warum soll man in schwierigen Zeiten auf ein intensiveres gemeinsames Gebet zurückgreifen? Vor allem weil Jesus selbst es im Evangelium lehrt: »Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; und wer anklopft, dem wird geöffnet« (Mt 7,7). Außerdem spüren wir, dass wir die Hilfe Gottes brauchen. Dank der wunderbaren Fortschritte von Wissenschaft und Technik können Männer und Frauen viele Dinge beschließen und tun, aber dann gibt es immer irgendein Element oder eine Dimension, die unsere Möglichkeiten und Pläne übersteigt: Hindernisse und Unvorhergesehenes, das schwer zu berechnen ist, wie es auch unvorhersehbar war, dass ein kleines Virus diesen Sturm in der ganzen Welt auslösen und unser Leben derart verändern würde.

Dass wir durch das Gebet das erhalten und verwirklichen können, was allein mit unseren eigenen Kräften unmöglich wäre, erklärt der heilige Thomas von Aquin sehr gut in einer langen »quaestio« über das Gebet (Summa theologica II a- II ae, q.83). Er sagt, dass Gott es in seiner Vorsehung so gefügt hat, dass es in unserer Macht steht, einige Dinge zu verwirklichen, dass es aber andere Dinge gibt, die von uns nur getan werden können, wenn wir den darum bitten, der mehr tun kann als wir, dass heißt Gott, für den nichts unmöglich ist. Mit anderen Worten: Durch das Gebet können wir daran mitwirken, dass Gott etwas tut, das jenseits unserer Fähigkeiten liegt.

Der tiefe Grund ist in Gottes Plan zu finden, der uns als intelligente, freie Wesen geschaffen hat und der will, dass wir – in Übereinstimmung mit der hohen Würde, die er uns verliehen hat – seine Mitarbeiter sind, und der nicht gerne ohne uns handelt. Durch das Gebet können wir erlangen, dass er tut, was wir Männer und Frauen nur mit unseren eigenen Kräften niemals erreichen könnten. Blaise Pascal fragte sich: »Warum will Gott das Gebet?« Und er antwortete: »Um seinen Geschöpfen die Möglichkeit zu geben, an seinen Werken mitzuarbeiten« (Gedanken, 513).

Gott um Hilfe zu bitten entbindet sicherlich nicht vom Handeln. Gebet und menschlicher Einsatz schließen einander nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig. Daher empfahl der heilige Franz von Sales: »Bete so, als hinge alles von Gott ab, und handle so, als hinge alles von dir ab.« Denn alles hängt von Gott ab, und zugleich hängt alles vom Menschen ab, aber auf verschiedene, geheimnisvolle Weise.

Es gibt immer zwei Protagonisten und Akteure für das, was in der Geschichte geschieht: den Menschen und Gott – den Menschen, der in seiner Freiheit entscheidet und handelt, und Gott, der allmächtig und die Quelle alles Seienden ist und für den es weder Vergangenheit noch Zukunft gibt, für den alles gegenwärtig ist.

Für uns, die wir glauben, ist es weder der Zufall noch der Einfluss der Sterne, der unser Schicksal oder den Lauf der Ereignisse bestimmt, sondern es ist auf der einen Seite der Mensch mit seinen freien Entscheidungen, und auf der anderen Seite Gott, der über die große Weltgeschichte ebenso wacht wie über die kleine Geschichte eines jeden von uns, ein Gott, der auch auf krummen Zeilen gerade zu schreiben weiß und der mit seiner Hand das tun kann, was über menschliche Möglichkeiten weit hinausgeht.

Der Glaube verleiht uns nicht nur die Gewissheit, dass er seine Hand über uns hält, sondern auch, dass es ein Herz gibt, das in der Tiefe der Ereignisse und Zufälle handelt und führt. Als Monika, die Mutter des heiligen Augustinus, Gott unter Tränen darum bittet, dass ihr Sohn den Glauben wiederfinden möge, entzieht sie sich ihrer Mutterpflicht nicht, denn als Mutter hatte sie alles getan, was sie für möglich hielt, aber ohne das Gewünschte erlangt zu haben. Mit ihrem Gebet aber erlangte sie, dass Gott in der Tiefe des Gewissens von Augustinus wirkte, denn dort, im Inneren des Herzens, entscheidet der Mensch frei über sein Schicksal und handelt Gott geheimnisvoll im Verborgenen: die Macht des Gebetes von Monika berührte das Herz von Augustinus, der sich bekehrte.

Die Lehre Jesu stützt unser Vertrauen, aus der Höhe das zu erhalten, was unsere Kräfte übersteigt. Denn das Evangelium sagt uns, dass wir ohne den Herrn nichts Gutes tun können (vgl. Joh 15,5), und es versichert uns: »Was auch immer zwei von euch auf Erden einmütig erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten « (Mt 18,19). Und Psalm 127 erinnert uns: »Wenn nicht der Herr das Haus baut, mühen sich umsonst, die daran bauen. Wenn nicht der Herr die Stadt behütet, wacht umsonst, der sie behütet.« Mit anderen Worten sagte dies auch ein Dichter des 18. Jahrhunderts, Pietro Metastasio: »Per compiere le belle imprese, / l’arte giova e il senno ha parte, / ma vaneggian il senno e l’arte / se amico il Ciel non è« [Um schöne Taten zu vollbringen, / ist Kunst nützlich und Verstand hat einen Teil, / aber Verstand und Kunst sind eitel, / wenn der Himmel kein Freund ist].

Der heilige Johannes Paul II. sagte, zu beten bedeute, die Wirklichkeit der verschiedenen Situationen nicht allein zu bewältigen, sondern mit der Kraft, die von Gott kommt. Im gläubigen Gebet liege das Geheimnis, um die persönlichen und sozialen Schwierigkeiten und Notsituationen erfolgreich zu bewältigen (vgl. Angelus vom 8. September 2002).

Die gegenwärtige dramatische Situation drängt uns, vertrauensvoll Gottes Hilfe anzurufen. Und um das Herz Gottes zu erreichen, wenden wir uns im Monat Mai an die Gottesmutter, die uns als barmherzige Mutter nahe ist und unsere Nöte versteht; gleichzeitig ist sie im Himmel Gott nahe und kann wirksam Fürsprache für uns halten und uns in dieser großen Not helfen.

Von Kardinaldekan Giovanni Battista Re