Vor hundert Jahren ging mitten im Weltkrieg die Epidemie um
In Sofia, der Hauptstadt Bulgariens, gibt es einen kleinen Soldatenfriedhof aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Dort liegen die sterblichen Überreste von 201 italienischen Soldaten, Kriegsgefangenen des österreichisch-ungarischen Heeres, die dorthin verbracht worden waren, weit weg von der Front. Als im Jahr 1918 die Epidemie der sogenannten Spanischen Grippe ausbrach, verwandelten sich die Baracken im Lager von Orlandovtsi am Rande der Stadt in einen mörderischen Infektionsherd. Viele starben. Darunter auch drei italienische Ordensfrauen, die sich den Truppen angeschlossen hatten und im Lagerlazarett Dienst taten. Ihre Grabsteine sind immer noch da, die von diesem Opfer berichten und es dem Vergessen entreißen.
Krieg und Pandemie vermischten sich vor 100 Jahren unerbittlich miteinander. Der Krieg an sich verhalf dem Virus dabei, sich auszubreiten, angesichts dieser Millionen von Soldaten (und Flüchtlingen), die von einem Kontinent zum anderen zogen, von einer Front an die andere, in einem unablässigen Kommen und Gehen von Menschen und Nachschub. Die Historiker berichten, dass die Sanitätskorps der Militärs sich sehr wohl der Gefahr der Verbreitung ansteckender Krankheit bewusst waren. Sie fürchteten vor allem den Typhus, die Cholera, die Pocken. Statt dessen kam dann aber eine Grippewelle von noch nie dagewesener Virulenz: wo der Krieg für 37 Millionen von Toten verantwortlich war, da tötete die Epidemie mindestens weitere 50 Millionen. Und bei den Toten handelte es sich fast durchweg um junge Menschen im Alter von 15 bis 40 Jahren.
Vor allem Frauen starben daran, vielleicht deshalb, weil sie es waren, die die Kranken pflegten und massenhaft selbst angesteckt wurden. Aber die Geschichte der Spanischen Grippe ist eine Geschichte, die unter Verschluss geblieben war und erst jetzt wiederentdeckt wird, wo wir uns mit einer Pandemie herumschlagen müssen, die ihr gleicht. Seit damals ist ein Jahrhundert wissenschaftlicher Entdeckungen, immer futuristischer Technologien und der Fortschritte in der Medizin verstrichen. Vor hundert Jahren hingegen, als sich diese Krankheit präsentierte, die keiner zu verstehen, geschweige denn zu behandeln verstand, musste man sich dagegen wappnen, so gut man eben konnte. Und an vorderster Front waren damals wie heute die Ärzte und das Pflegepersonal. Und die Ordensfrauen. »Wir müssen versuchen, uns ins Jahr 1918 hineinzuversetzen«, erzählt Eugenia Tognotti, Essayistin und Dozentin für Geschichte der Medizin an der Universität Sassari. Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es einen großen Schritt nach vorn auf dem Gebiet der Bakteriologie, die Namen der »Mikrobenjäger« wurden verehrt, vor allem Robert Koch und Louis Pasteur, aber die Wissenschaft hatte die Viren noch nicht entdeckt. Also tappte man angesichts dieser Krankheit noch im Dunkeln, die Husten, hohes Fieber, Nasenbluten, Atemprobleme, neurologische Begleiterscheinungen mit sich brachte und sich in vielen Fällen als tödlich erwies. Wie konnte man sie behandeln? »Da die Ursache dafür noch nicht entdeckt worden war«, so antwortet Prof. Tognotti, »und da es keine wirklich wirksame Arznei dagegen gab, wurden viele Behandlungsarten ausprobiert, aber die einzige Lösung, die funktionierte, bestand in den sogenannten Nicht-pharmazeutischen Interventionen, die heute mit dem Akronym NPI bezeichnet werden: Ruhe in warmer Umgebung, Ernährung, Flüssigkeitszufuhr, Hygiene. Da man dachte, dass die Ursache ein Bakterium sei, dass sich im Mund einniste, empfahl man zu Gurgeln. Zur Bekämpfung des Fiebers nasse Wickel im Gesicht und auf der Brust. Die Ordensfrauen, und zwar keineswegs nur diejenigen, die in Krankenhäusern ausgebildet worden waren, sondern auch die nicht spezialisierten, spielten dabei einen entscheidende Rolle. Besonders aktiv auf dem Gebiet der Krankenpflege, die einer der Eckpfeiler ihrer Kongregation war, waren die Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul. Es ist unmöglich, genaue Zahlen anzugeben, aber die Ordensfrauen haben durch ihre Präsenz mit Sicherheit die Ausbreitung des Virus gebremst und die Zahl der Todesopfer eingeschränkt.« Das war auch früher schon geschehen. Man denke etwa an die Cholera-Epidemien, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts gewütet hatten. Sr. Asuncion Riopedre, Provinzialin des Ordens der Hospitalschwestern des heiligsten Herzens Jesu, einer unter dem Einfluss des hl. Benedetto Menni 1881 in Madrid entstandenen Ordenskongregation, berichtet: »Anfangs nahmen wir uns der von allen ignorierten Frauen mit Geisteskrankheiten an. Wenige Jahre später brach aber eine Cholera-Epidemie aus; den Schwestern und den Brüdern wurde gesagt, sie sollten das Gegenmittel einsetzen, und organisiert von P. Menni zögerten sie nicht, sich zunächst um die Familien in Ciempozuelos und dann in anderen Ortschaften wie Getafe oder Chinchón zu kümmern.« Die Ausbreitung der Spanischen Grippe glich einem unaufhaltsamen Windsturm. Die sanitären Strukturen wurden davon überwältigt. In Italien wie in den anderen kriegführenden Ländern Europas verhinderte die Gleichzeitigkeit der Seuche mit dem Krieg, dass wirksame Gegenmaßnahmen getroffen werden konnten. Auch nur von Epidemie zu sprechen war unmöglich, zumindest in den ersten Zeiten. Ganz davon zu schweigen, etwa die Krankheitsherde zu isolieren, Quarantäne aufzuerlegen, Hilfsdienste zu organisieren. Was die Ordensfrauen taten, war also eine spontane barmherzige Aktion, von der Spuren in Gedenk- und Erinnerungsschriften zurückgeblieben sind. Geschichtssplitter, die Einsicht in vielen gemeinsame Geschichten überall in Italien gewähren, so etwa in die Geschichte von Sr. Fausta Finco vom Orden der Barmherzigen Schwestern der heiligen Jeanne-Antide Thouret. In einem alten Buch jener Zeit, Opera dell’Ospedale Congregazionale 1915-19 (»Die Arbeit des Ordenskrankenhauses 1915-19«), wird daran erinnert, dass »die Barmherzigen Schwestern im Krieg als Krankenschwestern Dienst leisteten in nahezu allen Krankenhäusern und Lazaretten von Modena und in engem Kontakt mit den dort liegenden Soldaten standen. Sr. Fausta steckte sich mit der Spanischen Grippe an und starb am 21. Februar 1919 in Modena. Sie starb im Dienst an einer Krankheit, mit der sie sich im Krankenhaus von Campori angesteckt hatte, als sie dort während der Grippeepidemie Dienst tat, nachdem sie sich 14 Monate lang, ohne einen einzigen Tag Pause, bemüht hatte, von der Front kommende Soldaten mit unendlicher Fürsorge zu überschütten und ihr Leiden zu mildern.«
In den Vereinigten Staaten hingegen, wo es ein solideres und straffer organisiertes Management gab, war entschieden mehr vom Beitrag der Ordensfrauen im Kampf gegen die Epidemie die Rede. 1919 veröffentlichte die American Catholic Historical Society (ACHS) von Philadephia, wie kürzlich die New York Times erinnert hat, ein Buch zum Gedenken an die Ordensfrauen, die sich in jener Stadt mutig aufgeopfert hatten: Der Titel: Work of the Sisters during the epidemic of influenza (»Die Arbeit der Schwestern während der Grippe-Epidemie«). Die Verfasser schrieben 1919: »Die [Zahl der] Pflegekräfte war aufgrund des Krieges reduziert. In vielen Krankenhäusern gab es gravierende Engpässe. Nun aber war es eine Frage von Leben oder Tod.«
So kam es, dass der Sanitätsrat von Philadelphia die Schließung der Schulen und Theater anordnete, ebenso wie die Suspendierung der Gottesdienste. Aber das konnte nicht ausreichen. Der Erzbischof, Dennis Dougherty, bot an, in den Gebäuden der Kurie so viele Kranke zu beherbergen, wie irgend möglich, und rief seine Kräfte zusammen: die Priester, die Ordensfrauen, die Genossenschaft der Töchter der christlichen Liebe des heiligen Vinzenz von Paul. Sie alle forderte er auf, sich der Kranken anzunehmen. Vor allem die Ordensfrauen bat er, aus den Klöstern herauszukommen. Obwohl sie nicht viel Erfahrung mitbrachten, reagierten zweitausend auf seinen Appell. Angetan mit weißen Kitteln und Mull-Masken kümmerten sie sich um einen Großteil der Bevölkerung, vor allem Immigranten aus Italien, der Ukraine, Polen, China, um schwarze Familien, Familien jüdischen Glaubens, um die Armen. Allen, die Hilfe brauchten, wurde geholfen. Diese Ordensfrauen zögerten auch nicht, verdreckte, elende Wohnungen zu betreten, wo die Eltern tot in den Betten lagen und die Kinder vor Verzweiflung und Hunger weinten.
Die Schwestern von Philadelphia wuschen Wäsche,, servierten heiße Suppe, brachten Wasser, Eis, Decken. »Während der Nächte konnte man jede Minute den Ruf ›Schwester! vernehmen«, berichtete eine von ihnen. Und eine andere: »Anfangs hatte ich Angst. Ich war noch nie direkt in Berührung mit dem Tod gekommen. Aber ich realisierte, dass irgendjemand es schließlich tun musste. Ich nahm den Kittel, die Maske, und fing meinen Dienst an.« Die Schichten dauerten zwölf Stunden. Viele wurden krank. Manche starben. Eine hinterließ schriftlich: »Dank dieser Erfahrung habe ich gelernt, meine Berufung zum Ordensleben mehr als je zuvor zu schätzen.«
In Louisville in Kentucky war ein riesiges Militärlager errichtet worden, das nach dem 12. Präsidenten, Zachary Taylor, benannt worden war. Es beherbergte 50.000 Soldaten, die von der Front in Europa zurückgekehrt waren. Der Lagerkaplan, P. Regis Barrett, bat angesichts der Katastrophe, dass jeder vierte Soldat erkrankt war, die Dominikanerinnen vom Heiligen Rosenkranz um Hilfe. In unaufhörlichen Schichten hatte jede die Aufgabe, sich um mindestens hundert infizierte Soldaten zu kümmern, die unter Fieber, Durchfall und Erbrechen litten.
Etwas Vergleichbares geschah in Massachusetts, in Camp Devens: auch hier waren die Schulen aus sanitären Gründen geschlossen worden, und die Lehrschwestern widmeten sich der Krankenpflege. Die Annalen der Dominikanerinnen führen die Erfahrungen an, die in New Orleans, Pittsburgh, New York gemacht wurden. Die Barmherzigen Schwestern von Verona kamen in mindestens hundert weiteren Einrichtungen zum Einsatz, darunter auch am St. Mary’s Hospital in San Francisco. In Kanada wurde der Leitartikel einer Lokalzeitung, des Morrisburg Leader aus dem Jahr 1919, wieder aufgefunden: »Niemand wird je vergessen können«, so der Artikel, »was für eine wunderbare Arbeit die Ordensfrauen geleistet haben, die sich in unserer Mitte aufopferten. Niemand wusste, wie sie hießen. Man wusste nur, dass Hilfe angefordert worden war und dass unverzüglich zwei Barmherzige Schwestern mit dem Zug aus Prescott kamen. Wir können verraten, dass sie Sr. Mary Charles und Sr. Mary Ursula hießen.« Diese Geschichte aus Morrisburg ist eine emblematische kleine Geschichte. »Die Epidemie der Spanischen Grippe«, so kommentiert Eugenia Tognotti, »war einer der eklatantesten Misserfolge der medizinischen Wissenschaft. Die Entdeckung der Bakterien hatte zu der Überzeugung geführt, dass es künftig keine unbekannten Krankheiten mehr geben werde und dass alles kurierbar sein würde. Diese Grippe hingegen, die von einem Virus ausgelöst wurde, das erst 1933 isoliert werden sollte, fegte den Optimismus hinweg, mit dem das 20. Jahrhundert begonnen hatte. Und das erklärt auch, weshalb die Pandemie in Vergessenheit geriet, und mit ihr zusammen auch die gewaltige Arbeit, die die Frauen, Ordensfrauen eingeschlossen, bei der Krankenpflege geleistet hatten.«
Von Francesco Grignetti
Journalist der Tageszeitung »La Stampa«