An der Päpstlichen Universität Gregoriana wurde am 21. April 2021 in einer Online-Veranstaltung mit wenigen Gästen vor Ort ein neuer Studiengang vorgestellt. P. Etienne Vetö, Direktor des Kardinal-Bea-Zentrums, das für die Koordinierung verantwortlich ist, bezeichnete dies als »historischen Moment«: Zum ersten Mal gibt es an einer Päpstlichen Universität das vom Heiligen Stuhl anerkannte Lizentiat für »Jüdische Studien und jüdisch-christliche Beziehungen«. Der kirchlich anerkannte akademische Grad ist ein interdisziplinärer Abschluss der Universität und auf zwei Jahre angelegt. Die Kongregation für das katholische Bildungswesen sowie die akademischen Autoritäten hatten den Studiengang an der Gregoriana am 20. Oktober 2020 genehmigt.
P. Vetö sieht darin auch eine Würdigung des bereits Geleisteten und ein Zeichen der Zeit, das heißt »die Überzeugung, dass das Judentum Teil des christlichen Lernens und die Beziehung von Christen und Juden von wesentlicher Bedeutung ist«. Das Bild der »Wurzeln« in Bezug auf das Verhältnis beider Religionen beziehe sich dabei nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Gegenwart. Der Saft aus den Wurzeln des Judentums fließe auch heute noch in den Baum der Kirche. In den letzten 20, 30 Jahren habe man besser gelernt, dass das Neue Testament nur im Kontext zu verstehen sei und sei sich bewusster geworden, dass Jesus den Schabbat eingehalten und koscher gegessen habe. Mehr in den Blick genommen habe man auch die Tatsache, dass es in der Rabbinischen Zeit eine wechselseitige Beeinflussung von Juden und Christen gegeben habe. »Zwischen Rabbinern und Kirchenvätern hat es einen Austausch über schwierige Fragen gegeben.«
In den zwei Jahren des Lizentiats könne man einen ersten Überblick gewinnen. Zu den Hauptbereichen des vertieften Studiums gehören: rabbinische Literatur, Geschichte, jüdische Philosophie, jüdische Liturgie und Gebet, jüdische Kultur und Kunst, zeitgenössisches jüdisches Denken, sowie biblisches und modernes Hebräisch.
Dazu gebe es eine zweite Schiene zum Themenbereich der Geschichte der Beziehungen, wo auch die gegenseitige Wahrnehmung im Laufe der Jahrhunderte verdeutlicht werde. »Das Verstehen der Beziehungen trägt auch zum Selbstbild bei.« In einer christlichen Theologie des jüdisch-christlichen Dialogs sieht P. Vetö zukünftige Perspektiven für die Theologie im 21. Jahrhundert.
Bei einer Audienz für die Teilnehmer an einer wissenschaftlichen Gedenkveranstaltung zum 50. Todestag von Kardinal Augustin Bea hat Papst Franziskus vor zwei Jahren zu den jüdischen Dozenten gesagt: »Sie lehren in einer Umgebung, in der schon allein Ihre Präsenz eine Neuheit darstellt und bereits eine Botschaft enthält. Wie könnte man Studenten zu einem echten Dialog hinführen, ohne Wissen, das von innen her kommt? Der Dialog verlangt, zwei Stimmen zu hören, und das Zeugnis jüdischer und katholischer Dozenten, die gemeinsam lehren, ist mehr wert als viele Worte« (Ansprache von Papst Franziskus am 28. Februar 2019, in: O.R. dt., Nr. 16, 19.4.2019, S. 10). Der Direktor des Kardinal-Bea-Zentrums wies darauf hin, dass dies auch bei dem neuen Studiengang der Fall sei. »Die Hälfte der Fakultät ist jüdisch. Wir lehren und forschen gemeinsam. Es gibt einige jüdische Studenten. Mit der Hebräischen Universität Jerusalem findet ein Austausch von Dozenten und Studenten statt.« Außerdem gebe es in Rom die älteste jüdische Gemeinde Europas, zu der konkrete Kontakte bestünden und damit auch die Möglichkeit, die aktuelle Lebenswirklichkeit kennenzulernen und zu sehen, »wie sie beten, wie sie essen«. Auch das solle als Teil des Ausbildungsprozesses betrachtet werden.
Außerdem biete der Standort Rom zwei weitere Vorteile. Zum einen gebe es die Nähe zum Vatikan, die sehr wichtig für die Pflege von Kontakten und den offiziellen Dialog sei, zum anderen die Gregoriana mit ihren Studenten aus 120 Ländern sowie die Zusammenarbeit mit zwei weiteren von Jesuiten geleiteten Hochschulen, dem Päpstlichen Bibelinstitut und dem Päpstlichen Orientalischen Institut.
P. Norbert Hofmann SDB, der Sekretär der Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum, verwies in seinem kurzen Beitrag darauf, dass der Vatikan in der Organisation des Dialogs tätig sei, dass aber darüber hinaus Institutionen notwendig seien, die in diesem Bereich aktiv sind, indem sie »das Erbe der Wertschätzung und Freundschaft« weitergeben, vor allem an junge Leute, so der Salesianer. Auf der Grundlage des vierten Kapitels von Nostra aetate gelte es, »das gemeinsame geistliche Erbe« weiter zu entdecken. Er freue sich, dass es nun in Rom »mehr Professoren und ein größeres Lehrangebot« gebe. Die meisten derartigen Institutionen befänden sich in Amerika und seien in Europa weniger vertreten. (Meist gibt es nur einige Module in Judaistik, die an einer Philosophischen Fakultät bzw. geschichts- und kulturwissenschaftlichen Fachbereichen beheimatet oder in die Studiengänge Theologie oder Nahoststudien eingegliedert sind.)
Im zweiten Teil der Vorstellung gaben zwei Dozenten des Kardinal-Bea-Zentrums in einem aufgezeichneten Beitrag eine Kostprobe für das Studienangebot. Aus verschiedenen Blickwinkeln versuchten sie, auf die Frage einzugehen, wie die jüdische bzw. christliche Tradition auf jemanden hört, der außerhalb dieser Tradition steht, wobei sie von rabbinischen bzw. patristischen Quellen ausgingen. Rabbi Dr. David Meyer stützte sich auf einen Text aus dem Talmud, aus dem deutlich werde: »Es wird anerkannt, dass es religiöse Weisheit außerhalb von der eigenen Tradition gebe. Die Frage ist, ob und wie man dies integrieren kann.« Über seine Tätigkeit am Kardinal-Bea-Zentrum sagt Rabbi Meyer, dass er zunächst gedacht habe, dass es wichtig für Christen sei, etwas über das Judentum zu lernen. Aber dann habe er gemerkt: »Ich lerne viel über eigene Tradition. Ich habe hier entdeckt, dass ich den katholischen Studenten, die mehr über das Judentum erfahren wollen, genauso viel zu geben habe wie ich selbst über das christliche Gedankengut zu lernen habe.«
Dr. Massimo Gargiulo gibt Kurse zum Verhältnis zwischen der griechischen Welt, dem rabbinischen Judentum und dem Christentum. Er verwies auf die Beziehungen von Origenes und Hieronymus zur jüdischen Welt. Sie hätten sich an Juden gewandt, wenn sie die Schrift nicht verstanden hätten, was Hieronymus unter anderem in Brief 84 verteidigt habe. Viele Kirchenväter hätten jüdische Lehrer gehabt. Dr. Gargiulo unterstrich, dass es einerseits eine Geschichte der Verachtung gegeben habe, aber zugleich habe zum Beispiel Origenes gesagt, dass man »durch Hilfe von außen«, das heißt der Juden, zu einer wahreren Meinung komme. »Die Tradition des anderen ergänzt, was in der eigenen Tradition nicht da ist.«
Der Rektor der Universität Gregoriana, P. Nuno da Silva Gonçalves SJ, hatte in seinen Worten zu Beginn der Veranstaltung unterstrichen, dass die Errichtung des Studiengangs einerseits ein erreichtes Ziel sei, »auf das lange hingearbeitet wurde«, zum anderen aber auch ein »neuer Anfang für neue Ziele und Horizonte«. In der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Dozenten und Studenten seien Juden und Christen in freundschaftlicher Verbundenheit gemeinsam auf dem Weg.
Das Studium in den Unterrichtssprachen Italienisch und Englisch steht Frauen und Männern unabhängig von Religionszugehörigkeit oder geistlichem Stand offen. Voraussetzungen sind ein Bachelor-Abschluss und ausreichende Kenntnisse in Theologie und Philosophie. Es gibt auch Voll- oder Teilstipendien. Neben dem Lizentiat kann weiterhin ein Diplom erworben werden. Weitere Informationen finden sich auf Internetseite der Gregoriana: https://www.unigre.it/en/judaic-studies/. E-mail-Adresse für Anfragen: judaicstudies@unigre.it
Johanna Weißenberger