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Initiative der haitianischen Bischofskonferenz gegen die »Diktatur der Entführungen«

Haiti: Christen im Streik gegen Entführungsdiktatur

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23. April 2021

Port-au-Prince. Alle Einrichtungen, Universitäten und Aktivitäten der katholischen Kirche in Haiti haben am 15. April gestreikt, um die Freilassung von sieben Ordensleuten sowie weiteren Personen zu fordern. Diese waren am Sonntag, 11. April, in Haiti entführt worden, wie P. Loudger Mazile, der Sprecher der Bischofskonferenz des karibischen Inselstaates, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP bestätigte. Am 15. April läuteten zur Mittagszeit Glocken, die Gläubigen kamen zusammen, um gemeinsam zu beten oder an der heiligen Messe teilzunehmen. Die Initiative wurde von der haitianischen Bischofskonferenz aus Protest gegen die »Diktatur der Entführung« initiiert. Die Zahl der Entführungen ist in Haiti drastisch gestiegen. Meist handelt es sich um kriminelle Banden, die Lösegeld verlangen, um Waffen zu kaufen.

Die aus zwei Ordensleuten aus Frankreich sowie vier Priestern und einer Ordensfrau aus Haiti bestehende Gruppe befand sich auf dem Weg zur Einführung eines neuen Gemeindepfarrers in der nahe der Hauptstadt Port-au-Prince gelegenen Ortschaft Galette Chambon. Die Entführer hätten eine Million Dollar Lösegeld gefordert, teilte Mazile mit. Die Polizei vermutet eine bewaffnete Bande als Täter.

Wie die Konferenz der Ordensleute von Haiti angab, wurden gleichzeitig drei weitere Personen, Verwandte des Neupriesters Jean Anel Joseph, entführt. Man bedaure die Situation zutiefst und sei erzürnt über die »unmenschliche Situation, die wir seit mehr als einem Jahrzehnt durchleben«, so die Ordenskonferenz.  Vier Priester, darunter der Franzose P. Michel Briand, sind Mitglieder der »Société des Prêtres de Saint Jacques«. P. Briand, 67, ist seit 1986 als Missionar in Haiti tätig. Er war es, der Pater Jean Anel Joseph in seiner Ausbildung begleitet hatte, den haitianischen Pfarrer, der die Gemeinde Galette Chambon übernehmen sollte. Das 1966 gegründete Institut hat 15 Ordensleute auf der Insel, weltweit sind es 80. Ebenfalls Französin ist Schwester Agnès Bordeau von den »Sœurs de la Providence de la Pommeraye«, einer 1825 von Marie Moreau gegründeten Kongregation mit Sitz in Paris, die sich der Bildung und christlichen Erziehung widmet.

Die zweite Ordensfrau, Schwester Anne Marie Dorcélus, eine Haitianerin, gehört zur Kongregation der »Kleinen Schwestern von der heiligen Therese vom Kinde Jesu«, die 1948 in Haiti von Pater Louis Farnèse Louis-Charles gegründet wurde. Evangelisierung und soziale Förderung in ländlichen Gebieten sind das Charisma des Instituts, das auf der Insel mit 35 Gemeinschaften vertreten ist, die Schulen unterhalten, die auf den Unterricht in der Landwirtschaft spezialisiert sind, sowie Ausbildungszentren, Dispensarien, ein Krankenhaus, ein Waisenhaus, ein Hospiz und zwei Bauernhöfe. Sie sind nun alle aus Protest geschlossen.

Die haitianische Bischofskonferenz trat ebenfalls zusammen, um in Pétion-Ville eine heilige Messe zu feiern. »Wir dürfen nicht länger zulassen, dass Banditen entführen, vergewaltigen und töten. Nie wieder«, lautet der Aufruf der Bischöfe. »Seit einigen Jahren ist das Leben der Haitianer ein Alptraum: Schwer bewaffnete Banditen entführen die Bürger. Nicht einmal Kinder im Alter von fünf Jahren werden verschont. Angehörige der Opfer werden gezwungen, hohe Lösegelder für die Freilassung ihrer Verwandten zu zahlen, die manchmal auch getötet werden.«

Die Menschen lebten in ständiger Angst vor Gewalt, doch sei die politische Führung »zunehmend ohnmächtig« und nur um den eigenen Machterhalt besorgt. Entführungen gegen Lösegeld seien mittlerweile an der Tagesordnung.

Haiti ist das ärmste Land des amerikanischen Doppelkontinents und befindet sich seit mehreren Monaten in einer tiefen politischen Krise. Im März hatte die Regierung in bestimmten Bezirken der Hauptstadt und einer Region im Landesinneren einen einmonatigen Ausnahmezustand verhängt, um die Kontrolle über die von Kartellen kontrollierten Gebiete wiederzuerlangen. Anlass waren die zahlreichen Entführungen, Raubüberfälle und Plünderungen, die zunehmend zu Protesten auf den Straßen der Hauptstadt geführt hatten, darunter ein gegen die Bandengewalt gerichteter Protestmarsch mehrerer hundert Frauen am Karsamstag.

Die haitianische Bischofskonferenz hatte erst im Februar davor gewarnt, dass die politischen Spannungen, gepaart mit extremer Not, Armut, Gewalt, Unsicherheit und Straflosigkeit, zu einer »sozialen Explosion« führen könnten. Die Haitianer müssten sich solidarisch mit allen Notleidenden zeigen. Zugleich riefen die Bischöfe zu einem sozialen und institutionellen Dialog auf.