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Der Kanonenkugelbrunnen vor der Villa Medici (Teil II)

Malerische Ausblicke

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19. März 2021

Nach dem Fall des Römischen Reiches musste Rom die Angriffe der Vandalen, Goten und Langobarden über sich ergehen lassen. Die Hauptstadt des größten Imperiums der Antike wurde Ende des 4. Jahrhunderts nach Byzanz (Konstantinopel) verlegt. Ein langsamer, aber steter Niedergang begann. Wegen der peripheren Lage verödete die Gegend, wo später die Villa Medici entstand. Die ehemals wunderschönen Gärten und Parkanlagen verkamen. An ihrer Stelle breiteten sich im Laufe des gesamten Mittelalters Wiesen und Weingärten aus.

Als die Neffen von Kardinal Giovanni Ricci di Montepulciano im 16. Jahrhundert dieses Gebiet erwarben, gab es hier als einziges Gebäude ein Landhaus des Kardinals Marcello Crescenzi. Kardinal Ferdinando de’ Medici kaufte das Areal und setzte die bereits von Kardinal Marcello Crescenzi eingeleiteten und von den Neffen des Kardinals Giovanni Ricci di Montepulciano weitergeführten Umbau- und Erweiterungsarbeiten unter dem Baumeister Bartolomeo Ammannati (Architekt, 1511-1592) fort. Ein Teil der römischen Ruinen wurde mit Erde bedeckt, während die ausgegrabenen Statuen und Reliefs –  dem Geschmack der Zeit entsprechend – einerseits in der gartenseitigen Fassade, andererseits im Park verteilt wurden und so eine Art Freilichtmuseum bildeten. Als der Kardinal 1587 Großherzog der Toskana wurde, überführte er zahlreiche Kunstwerke nach Florenz.

Die Villa war dann etwa ein Jahrhundert lang Sitz der Botschafter des Großherzogtums Toskana beim Hof der Päpste. Galileo Galilei wohnte hier im Jahr 1633 zunächst als Gast von Ferdinando II. de’ Medici und später als Gefangener während seines Prozesses.

Am Neujahrsmorgen 1656 soll sich die legendäre Geschichte mit der Kanonenkugel im Brunnen vor der Villa Medici abgespielt haben. Christina von Schweden (1626-1689; 1632-1654 Königin von Schweden), die Tochter und Thronfolgerin des schwedischen Königs Gustav Adolf, soll sie der Überlieferung nach von der Engelsburg abgefeuert haben. Angeblich geht die heute noch sichtbare Delle im Tor der Villa auf diese Episode zurück.

König Gustav Adolf (geb. 1594; 1611-1632 König von Schweden) zog das Mädchen – in Ermangelung eines männlichen Thronfolgers – schon im Kindesalter als Junge auf. Nach seinem Tod wurde Christina im Alter von 6 Jahren Königin von Schweden. Da sie natürlich noch nicht alleine herrschen konnte, übernahm das der Reichskanzler Axel Oxenstierna für sie. Infolge ihrer maskulinen Instruktion trug sie Männergewänder und achtete kaum auf ihr Äußeres, was zur damaligen Zeit für großes Aufsehen sorgte. Andererseits war sie sehr gebildet, hatte sie doch in ihren Jugendjahren die antiken römischen Schriftsteller gelesen und sich auch für Wissenschaften interessiert. Ihre Liebe gehörte aber der Kunst, vor allem der Musik. Von den meisten wurde sie jedoch – weniger wegen ihrer äußeren Erscheinung als wegen ihres umfassenden Wissens und der originellen Einfälle und Ideen – bewundert. Sie kannte zahlreiche Schriftsteller, Maler, Musiker und andere herausragende Persönlichkeiten. Auf jeden Fall war sie eine der schillerndsten Gestalten des 17. Jahrhunderts.

Im Jahre 1654, im Alter von 28 Jahren, dankte sie – ihrer Aufgabe als Königin müde – ab, wandte dem kühlen Norden den Rücken zu und zog gegen Süden. Am 24. Dezember 1654 konvertierte sie in Brüssel zum katholischen Glauben. Offiziell trat sie erst am 3. November 1655 während einer feierlichen Zeremonie in der Innsbrucker Hofkirche zum Katholizismus über.

Die ehemalige Königin wird in den meisten schriftlichen Quellen als exzentrische Person beschrieben, weil sie im Alltag eben in Männerkleidern herumlief und eine wirsche Art hatte, mit den Leuten umzugehen. Diesen ungehobelten Manieren stand die große Liebe zur Kunst, vor allem der Musik und Dichtung, gegenüber. Ihnen – Opern, Literatur und der bildnerischen Kunst – widmete sie sich in den ihr verbleibenden 34 Jahren, die sie in Rom verbrachte. Unter anderem gründete sie einen Dichterzirkel, der ein Jahr nach ihrem Tod den Namen »Gesellschaft der Arkadier« annahm (ital. »Accademia degli Arcadi«).

Gian Lorenzo Bernini war Christina sehr verbunden, hatte er doch ihr zu Ehren die Porta del Popolo restauriert. Die Inschrift: »FELICI FAVSTOQ INGRESSVI - ANNO DOM. MDCLV« (Zum glücklichen und gesegneten Einzug [der Königin von Schweden] – Im Jahr des Herrn 1655) erinnert heute noch an den triumphalen Einzug der ehemaligen Herrscherin in die Ewige Stadt.

Vielleicht entstand eben wegen ihres seltsamen Lebensstils und resoluten Charakters die Überlieferung, sie habe die Kanonenkugel am Neujahrsmorgen 1656, wahrscheinlich nach einer durchzechten Nacht, von der Engelsburg in Richtung Villa Medici abgefeuert. Von dieser Episode gibt es mehrere Varianten. Eine berichtet, sie habe dem französischen Maler Charles Errand (1606-89), der in der Villa wohnte, versprochen, ihn zu wecken, indem sie an seine Tür klopfe (!), oder ihm aber eine Verspätung zu einem Mittagessen ankündigen wollen, oder aber das aus purem Scherz gemacht, vielleicht um zu zeigen, dass sie auch mit schweren Geschützen umzugehen wusste. Die ganze Geschichte ist eine – wenn auch amüsante –  Erfindung, denn eine von der Engelsburg abgeschossene Kugel wäre nie bis zur Villa Medici gelangt, da Kanonen damals nicht diese Reichweite besaßen.

Jedenfalls wurde die runde Brunnenschale bald zu einem beliebten Motiv: Zahlreiche Maler, darunter auch Camille Corot (1796-1875), ließen sich hier von der hinreißenden Vedute inspirieren. Deswegen ist sie auch als »Fontana di Corot« (Brunnen von Corot) bekannt, der ihn zu Anfang des 19. Jahrhunderts gleich dreimal malte. Auch Fragonard, Hubert Robert und Vernet hielten den Brunnen vor dem malerischen Ausblick fest. Ja sogar von Johann Wolfgang von Goethe, der am Beginn der Via del Corso wohnte – also ganz in der Nähe –, gibt es eine Zeichnung davon.

Die ebenmäßige Granitschale steht auf einem Sockel, der aussieht wie eine antike Säulenbasis und unmittelbar darunter in einen achteckigen Podest übergeht, der sich aus einem ebenfalls achteckigen Wasserbecken erhebt.

Heutzutage entspringt aus der Kugel in der Mitte ein niedriger Strahl, dessen Wasser in die schlichte, in ihrer essenziellen Form perfekte, uralte Granitschale zurückfällt. Von hier tropft es gemächlich über den Rand in das darunterliegende Achteck.

Doch nicht nur der Kanonenkugelbrunnen wird von der Acqua Felice gespeist. Auch einige andere Brunnen im ruhigen und schon wegen seiner atemberaubenden Aussicht auf den Petersdom absolut sehenswerten Park der Villa hängen an der Wasserleitung. Der Maler Balthus, der von 1961 bis 1977 Direktor der Académie de France war, ließ nicht nur das Renaissance-Gebäude, sondern auch die Parkanlage restaurieren, wobei man versuchte, den originalen Baumbestand sowie auch andere Pflanzen, die es einmal in diesem geschichtsträchtigen Garten gab, wiederherzustellen. Ein wichtiges Thema bildeten die im Laufe der Zeit beinahe verschwundenen Brunnen.

Allen voran ragt hier an der gartenseitigen Fassade, als Abschluss der Löwenloggia, gleichsam als Einladung, den Garten zu besichtigen, der zierliche, elegante Merkurbrunnen hervor. Es handelt sich um eine kleine Marmorschale auf einem niedrigen Sockel, aus der sich die anmutige Bronzefigur des Merkur des genialen Bildhauers Giambologna (Jean de Boulogne, 1529-1608) fast wie im Flug erhebt.

Giambologna wurde in Douai in den Niederlanden geboren. Sein Vater wollte, dass er Notar werden sollte, doch er interessierte sich mehr für die Plastik, so dass er im Jahre 1540 nach Antwerpen ging, um bei Jacques du Broeucq zu studieren. Zwei Jahre später schloss er sich zwei Landsleuten, den Malern Frans und Cornelis Floris, an, die nach Rom reisten. In der ersten Zeit war er von den römischen Skulpturen derart beeindruckt, dass er sie genau studierte.

Angeblich lernte er auch Michelangelo kennen. So erzählt die Überlieferung, dass Buonarroti an die Tonmodelle des Flamen Hand anlegte, um sie zu korrigieren. Denn Giambologna arbeitete, ohne seine Werke vorzuzeichnen beziehungsweise skizzenartig zu entwerfen, wie gemeinhin üblich, sondern er schuf direkt Modelle seiner Arbeiten, was dem großen Renaissance-Meister offensichtlich nicht gefiel. Giambologna ließ sich nicht beirren, seine Ideen freier zu gestalten – er wurde einer der berühmtesten Nachfolger Michelangelos.

Zu seinen bekanntesten Werken zählt der um 1580 geschaffene »Fliegende Merkur«. Während er noch mit den Arbeiten am imposanten und ebenfalls brillanten Neptunbrunnen in Bologna beschäftigt war, forderte der päpstliche Gesandte Cesi ihn auf, eine Statue des Merkur für den Hof des »Archiginnasio« – Sitz der antiken und prestigereichen Universität in Bologna – herzustellen. Man trug ihm auf, eine Bronzefigur des griechischen Gottes Hermes (Merkur) mit einem zum Himmel erhobenen Finger zu gießen, Symbol für das göttliche Wissen, das die Studenten anspornen sollte.

Dieses Projekt wurde nie realisiert, doch Giambologna schuf, davon inspiriert, nach einigen Versuchen eine dynamische, nach vorne und nach oben projizierte Gestalt, im Begriff, sich in die Lüfte zu erheben. Die Figur versprüht eine unglaubliche Freiheit und Leichtigkeit in der Bewegung. Die Medici bestellten, als er aus Bologna wieder nach Florenz zurückkehrte, sogleich eine Kopie, die als Geschenk an Kaiser Maximilian II. (1527-1576) versandt wurde, um ihn für die Heirat von Francesco de’ Medici mit Johanna (der um 20 Jahre jüngeren Schwester des Herrschers) gnädig zu stimmen.

Giambologna schuf zwei weitere Bronzestatuen davon, die sich heute in Wien und in Dresden befinden, und goss 1580 einen »fliegenden Merkur« in größeren Dimensionen, der für die Villa des Kardinals Ferdinando de’ Medici in Rom bestimmt war und einen Brunnen inmitten seiner wunderbaren Gartenanlage krönen sollte. Die einzige Variante gegenüber den vorhergehenden Statuen bestand darin, dass dieser Merkur mit dem linken Fuß auf dem Mund des Windgottes Zephyr stand. Auf diese Art wird der Gott des Handels und des Gewerbes nicht nur von seinem geflügelten Helm und ebensolchen Sandalen, sondern auch von dem Atem des Zephyr, dessen Kopf der eines Knaben ist, vorangetragen. Merkur scheint geradezu überirdisch und immateriell zu schweben. Schwerelos scheint die Figur im Äther zu fliegen.

Die rechte Hand erhoben, zeigt Merkur zum Himmel, als ob er einen Befehl des Gottes erfüllen würde, in der anderen hält er seinen »Caduceus« (Hermesstab, ein Stab mit zwei Flügeln, der von zwei Schlangen mit einander zugewendeten Köpfen umwunden wird). Auf dem Kopf den geflügelten Helm (Symbol des Merkur), sind auch seine Füße mit Flügeln versehen. Diese wunderbare Statue ist eine Kopie. Das Original wurde nach Florenz gebracht und steht jetzt im Museo del Bargello. Jedenfalls bildet dieser kleine, aber feine Brunnen den Abschluss der faszinierenden gartenseitigen, über und über mit antiken Reliefs bedeckten Fassade.

Von Silvia Montanari