Tierdarstellungen in der Basilika St. Paul vor dem Mauern

Ein allegorischer Zoo
aus Stein

Im Ziborium von Arnolfo di Cambio (13. Jh.) über dem Grab des heiligen Paulus sind eine ganze Reihe von Tieren zu erkennen, darunter Schafe, ein Adler und ein Vogel, der einen Fisch frisst.
15. Januar 2021

In der Basilika St. Paul vor den Mauern gibt es neben den großen Symboltieren der Evangelisten – Stier, Adler und Löwe –, die sofort ins Auge fallen, auch zahlreiche kleine Darstellungen von Tieren. Ihnen sind die folgenden Ausführungen gewidmet, die auch eine Anregung zur Meditation sein könnten.

»Preist den Herrn, ihr Tiere des Meeres und alles, was sich regt im Wasser […] Preist den Herrn, all ihr Vögel am Himmel […] Preist den Herrn, all ihr Tiere, wilde und zahme« (Dan 3,79-81). Diese Verse stammen vielleicht aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus, aber »alles, was sich im Wasser regte«, pries den Herrn bereits vor über 300 Millionen Jahren. Unter den Marmorsorten in der Basilika St. Paul vor den Mauern gibt es in der Apsis zwei runde Platten mit einem Durchmesser von 60 cm, die aus »Lumachella«, Schneckenmarmor, bestehen. Hier können wir die ältesten Tiere sehen und über sie hinweggehen. Versteinerte Fossilien, Millionen Jahre alt: In jeder Platte sind mindestens dreißig Muscheln gefangen, die aus dem lauwarmen prähistorischen Ozean stammen. Die größten von ihnen sind 15 cm lang. Wenn die Benediktinermönche Laudes und Vesper in der Apsis singen, dann nehmen diese entfernten »Ahnen« durch den lautlosen Gesang ihrer unveränderlich stabilen Schönheit daran teil.

Mittelalterliches Bestiarium


Das Ziborium von Arnolfo di Cambio, in Auftrag gegeben von Abt Bartholomäus am Ende des 13. Jahrhunderts, ist unter diesem Gesichtspunkt von besonderem Interesse. Es steht über dem Grab des Völkerapostels. Sieht man sich die Unterseite der Wölbung aus der Nähe an, sind dort fein gezeichnete Vögel und elegante mythologische Tiere zu erkennen. Sie bestehen aus weißem Marmor und heben sich schön vom nachtblauen Mosaikhintergrund ab. Dieser allegorische »Zoo« vermittelt den Eindruck von spielerischer Leichtigkeit und Lebendigkeit. Die Tiere sind paarweise angeordnet, darunter Einhörner, Hirsche, Pfauen, Hähne, Schwäne, Schafe, ein Adler und ein Vogel, der einen Fisch frisst. Warum gerade diese Tiere, die auch an anderen Stellen der Basilika vorkommen, zum Beispiel die Schwäne im Apsismosaik zu Füßen der heiligen Petrus und Andreas?

Schwan


Es gibt insgesamt zehn Schwäne in der Basilika, allerdings ist die Identifizierung nicht in allen Fällen eindeutig. Der Schwan wird in der Heiligen Schrift nur ein einziges Mal erwähnt, und zwar in der Liste der unreinen Vögel, die man nicht essen darf: »Schwan, Pelikan, Blässhuhn« (Lev 11,18; Dtn 14,16) [in der deutschen Einheitsübersetzung lautet die Stelle allerdings: »Weißeule, Kleineule, Schmutzgeier«]. Andererseits könnte man auf den »essbaren« Schwan in der Carmina burana (13. Jh.) verweisen: In der makabren Ballade des angebratenen Schwans »Olim lacus colueram« liegt dieser in einer Pfanne und besingt sein vorheriges Leben: »Einstens war ich Zierd’ des Sees / damals, prächtig anzuschaun, / damals, als ein Schwan ich war.« Der Refrain lautet: »Elend! Jammer! / Rundum schwarz schon / und angebraten jetzt.«

Auch wenn der Schwan in der Bibel zu den »abscheulichen« Vögeln gezählt wird, besitzt er doch eine sprichwörtliche Schönheit: schneeweiß und elegant, mit seinen harmonischen Kurven und der majestätischen Haltung, wenn er auf der Wasseroberfläche dahingleitet, und auch Stärke. Er ist in der Mythologie verschiedener Nationen präsent. Eine bekannte Legende besagt, dass der Schwan während seines Lebens nicht singt, sondern erst im Augenblick des Todes einen wunderschönen Gesang anstimmt. Das erinnert fast an »das Schaf, das vor seinen Scherern verstummt und seinen Mund nicht auftut« (vgl. Jes 53,7), aber im Augenblick des Todes »mit lauter Stimme schrie« (Mk 15,37).

Rabe


Der Fisch ist ein bekanntes Christussymbol. Und wenn ein Rabe auf dem Ziborium einen Fisch frisst, dann könnte das für die Speise der Eucharistie stehen. Der Kolkrabe gehört als Symbol zum heiligen Benedikt von Nursia. Auch in der Basilika sitzt er neben der großen Statue des Begründers des westlichen Mönchtums. Wie der heilige Gregor der Große erzählt, sollte Benedikt durch vergiftetes Brot beseitigt werden, das ihm ein »befreundeter« neidischer Priester sandte. Aber der Rabe, der regelmäßig zum Heiligen kam, um aus seiner Hand einige Brosamen zu picken, trug er es fort. Gregor unterstreicht, dass Benedikt der Erbe der großen Prophetengestalten Elija und Elischa aus dem Alten Testaments ist: »Die Raben brachten ihm Brot und Fleisch am Morgen und ebenso Brot und Fleisch am Abend« (1 Kön 17,6). Benedikt ist damit ein neuer Elija.

Seelöwe


Und die beiden aus Löwe und Fisch zusammengesetzten Wesen? Auch der Löwe steht für Christus: »Gesiegt hat der Löwe aus dem Stamm Juda, der Spross aus der Wurzel Davids; er kann das Buch und seine sieben Siegel öffnen« (Offb 5,5). Der heilige Augustinus spricht über den Tod Jesu mit den Worten, »du schliefst wie ein Löwe und flohst nicht wie ein Fuchs« (Sermones 37,2). Auch in den Chroniken von Narnia von C. S. Lewis ist der Löwe Aslan, der sich opfert, aber danach mitten in der Nacht wieder von den Toten zurückkehrt, ein Bild für den Auferstandenen.

Hirsche und Pfauen


Am Ziborium gibt es zwei Hirsche, weitere vier sind in den Säulenhallen des Atriums dargestellt. Das Bild ist inspiriert von Psalm 42 (41): »Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele nach dir, Gott«. Der Hirsch steht für alle Menschen, die Sehnsucht nach Gott spüren. Auch die beiden Pfauen haben vier Artgenossen im Atrium. Der Pfau ist ein biblischer Vogel. Über das prachtvolle Reich Salomos heißt es: »Einmal in drei Jahren kam die Tarschischflotte und brachte Gold, Silber, Elfenbein, Affen und Pfauen« (1 Kön 10,22). Der heilige Augustinus spricht mehrmals über die erstaunlichen Eigenschaften dieses Tieres: »Wer sonst als Gott, der Schöpfer aller Dinge, hat zum Beispiel dem Fleisch des Pfauen die Eigenschaft verliehen, daß es sich vor Fäulnis bewahrt? Das kam mir so unglaublich vor, daß ich es auf bloßes Hörensagen hin nicht annehmen wollte; als mir darum einmal in Karthago ein Pfauenbraten vorgesetzt wurde, ließ ich vom Brustfleisch ein hinreichend großes Stück zurückbehalten«, so »zeigte es sich nach mehr als dreißig Tagen im gleichen Zustand und ebenso auch nach einem Jahre, nur daß es etwas trockener und ein wenig zusammengeschrumpft war« (De Civitate Dei XXXI,4,1). So wird verständlich, warum man diesen Vogel als Symbol für die Auferstehung gewählt hat.

Adler


Es gibt nur eine einzige Darstellung eines Adlers am Ziborium. Obwohl auch er in der Liste der unreinen Tiere auftaucht, wird er in der Bibel meist als Symbol für Schnelligkeit erwähnt. Aber er steht auch für neues Leben: »wie dem Adler wird dir die Jugend erneuert« (Ps 103,5). Oft bringt der Adler Rettung: »Ich habe euch auf Adlerflügeln getragen und zu mir gebracht« (Ex 19,4), so wie der vom Drachen bedrängten Frau der Offenbarung »die beiden großen Flügel des Adlers gegeben werden« (Offb 12,14). Auch im Herrn der Ringe von Tolkien werden die kleinen Hobbits, nachdem sie ihre Mission auf dem Schicksalsberg erfüllt haben, von Adlern in Sicherheit gebracht. Alle anderen Adler der Basilika dagegen sind das Attribut des Evangelisten Johannes.

Einhorn


Auch zwei Einhörner sind auf dem Ziborium dargestellt. Es sind nicht nur Märchenwesen oder Kreaturen aus der höfischen Liebe der Troubadoure, sondern sie kommen auch in der Bibel vor, genauer gesagt in der Vulgata des Hieronymus. In der heutigen Übersetzung lautet der Psalmvers: »Rette mich vor dem Rachen des Löwen und vor den Hörnern der Büffel!« (22,22), in der Vulgata dagegen hieß es: »Salva me ex ore leonis et de cornibus unicornium exaudi me« (»…und errette mich von den Hörnern der Einhörner«). Vor der Liturgiereform bildete dieser Vers das Responsorium der Vesper in der Passionszeit. Das Einhorn war also ein Symbol der Gefahr.

Alles verkündet das Lob des Herrn. Die vielen Tiere der Basilika St. Paul vor den Mauern haben ihren Platz in diesem Lobpreis und regen darüber hinaus unsere geistliche Phantasie an. Und auch den Hund dürfen wir nicht vergessen, der sich gelegentlich in die Basilika verirrt, oder die Tauben, die sich durch die Fenster hereinzwängen (sie sind allerdings nicht so willkommen!) oder die wilden Katzen, die im Klostergarten leben.

»Preist den Herrn, all ihr Tiere, wilde und zahme; lobt und rühmt ihn in Ewigkeit!« (Dan 3, 81).


(Nach einem Kapitel aus dem Buch von Edmund Power OSB, Altabt, über St. Paul vor den Mauern: »Ciò che occhio non vide… Teologia visiva della Basilica San Paolo fuori le mura«, Lateran University Press, Vatikanstadt 2015, S. 147-153).