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Zum Erscheinen eines Tagungsbandes über Ludwig von Pastor

Berühmter Geschichtsschreiber der Päpste

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08. Januar 2021

Papst Franziskus hat in seinem vor kurzem erschienenen Buch Wage zu träumen! mit der Aussage überrascht, während seiner Zeit in der Jesuitenniederlassung im argentinischen Cordoba von 1990 bis 1992 »alle 37 Bände von Ludwig Pastors Geschichte der Päpste« (in der spanischen Ausgabe) gelesen zu haben. Im Rückblick fragt er sich, »warum mich Gott zur Lektüre inspiriert hat«. Hinsichtlich der Herausforderungen seines Pontifikats hält er anschließend fest: »Wenn du einmal diese Papstgeschichte kennst, dann kann dich wenig von dem, was im Vatikan und der Kirche heute passiert, noch schockieren.«

Dass es sich beim Wirken des Jesuiten Jorge Mario Bergoglio in der kulturell regen, von Universitäten und zahlreichen Kirchen geprägten Metropole Cordoba um eine Schlüsselphase seines Lebens handelt, wird bei der Lektüre deutlich. Um so bemerkenswerter ist es, dass er – bevor er 1992 Weihbischof und 1998 Erzbischof von Buenos Aires sowie 2001 Kardinal wurde – in dieser Zeit mit großer Ausdauer das monumentale Werk Pastors zur Papstgeschichte in Gänze gelesen hat. Hier wird zugleich exemplarisch sichtbar, welche weltweite Verbreitung und Rezeption dieses zunächst auf Deutsch, dann auch in Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch herausgekommene Werk gefunden hat.

Fast zeitgleich mit der deutschen Ausgabe des Buches von Papst Franziskus ist der Band Ludwig von Pastor (1854-1928). Universitätsprofessor, Historiker der Päpste, Direktor des Österreichischen Historischen Instituts in Rom und Diplomat, hrsg. von Andreas Sohn und Jacques Verger, im Regensburger Verlag Schnell & Steiner erschienen. Diese Publikation ist aus einer hochkarätig besetzten internationalen Tagung im Römischen Institut der Görres-Gesellschaft und in der École française de Rome (Februar 2018) hervorgegangen. Die Schirmherrschaft der Tagung hatten die Kardinäle Christoph Schönborn und Rainer Maria Woelki, Ministerpräsident Armin Laschet (Nordrhein-Westfalen) und Marcel Philipp, Oberbürgermeister von Aachen, übernommen. Erstmals fand so eine Tagung zu Leben und Werk des aus Aachen gebürtigen Gelehrten Ludwig von Pastor statt – rund 90 Jahre nach seinem Tod.

Der sehr ehrgeizige, vom Kulturkampf geprägte Konvertit aus einer Kaufmannsfamilie, der früh seinen Vater verlor, reüssierte nach dem Studium in Löwen, Bonn, Berlin und Wien fern der Heimat: Nach der Promotion in Graz und der Habilitation in Innsbruck wurde er als Professor für Geschichte an die dortige Hochschule berufen, von wo ihm – seit 1899 Hofrat – 1901 der wohlvorbereitete Sprung auf den Direktorensessel des Österreichischen Historischen Instituts in Rom glückte. Dank des Kaisers Franz Joseph I. (1848-1916) und seiner Privilegien wurde 1908 aus dem Patriziersohn ein Adeliger und acht Jahre später der Freiherr von Camperfelden. Damit hatte Ludwig von Pastor aber noch nicht das Ende seiner Karriereleiter erreicht. Gefördert vom christlichsozialen Staatssekretär Michael Mayr (seit November 1920 österreichischer Bundeskanzler), wirkte er ab Februar 1920 zunächst als Geschäftsträger, dann vom Januar des folgenden Jahres an als außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister der Republik Österreich beim Heiligen Stuhl. Worüber er ein Leben lang geforscht und publiziert hatte, nämlich über Rom und den »Vatikan«, das wurde nun zu seiner diplomatischen Wirkungsstätte.

Im Verlauf der glanzvollen Karriere, die er mit einem immensen Maß an Beharrlichkeit, Fleiß und Schaffenskraft verfolgte, stieg Pastor zu einem Vertrauten der Päpste auf. Er verband wissenschaftliche Expertise und politisches Engagement und schuf ein bedeutendes Oeuvre besonders zur Papst- und Kirchengeschichte. Für sein konfessionell eingebundenes Hauptwerk Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters (ab 1886 in 16 Bänden und 22 Teilbänden, mit bis zu 13 Auflagen und mehr als 15.000 relativ eng bedruckten Seiten in Frakturschrift) konnte er in umfangreicher Weise auf die im Vatikanischen Geheimarchiv aufbewahrten Quellenschätze zugreifen (sogar noch vor der Öffnung 1880/81), was dem Berliner Historiker Leopold von Ranke (1795-1886) im Hinblick auf seine mehrbändige Publikation Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten, von 1834 bis 1836 erschienen, verwehrt war. Deshalb hat Arnold Esch, der ehemalige Rektor der Universität Bern und langjährige Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 2016 in der Einführung zu seinem »Rom«-Buch geschrieben: Pastors »große Papstgeschichte [ist] nicht einfach die konfessionelle, apologetische Geschichtsschreibung […], als die sie oft hingestellt wird, und die eine bis dahin nicht gekannte Quellenfülle erschloss«.

Hohe Auszeichnungen blieben für den Historiker und Diplomaten Ludwig von Pastor nicht aus. Mit Ehrendoktoraten zeichneten ihn die Universitäten Breslau, Innsbruck (Theologische Fakultät) und Löwen aus, zahlreiche wissenschaftliche Akademien in Europa beriefen ihn zum Mitglied: zum Beispiel in Paris und Rom, in Krakau und Prag, in Wien und Budapest, in Oslo und Antwerpen. Auch wichtige Orden wurden ihm verliehen: So erhielt er unter anderem von päpstlicher Seite das Komturkreuz des Gregoriusordens mit Stern und den Orden vom Goldenen Sporn, Kaiser Franz Joseph I. überreichte ihm das österreichisch-ungarische Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft.

Zum Erfolg Pastors, der mit Constanze Kaufmann, der Tochter des Bonner Oberbürgermeisters Leopold Kaufmann, verheiratet war, trug ein feines und weites Beziehungsnetz bei. Dieses webte jener zu einflussreichen Förderern und Entscheidungsträgern: zum habsburgischen Kaiserhaus, zu Fürstenhäusern (Liechtenstein, Löwenstein), Politikern der Zentrumspartei (wie Ludwig Windthorst, August und Peter Reichensperger), Repräsentanten der Görres-Gesellschaft, zur Verlegerfamilie Herder, zu Kardinälen

und Bischöfen. Die Beziehungen Pastors reichten über Europa und Gelehrtenkreise des Kontinents hinaus: Bis kurz vor seinem Lebensende unterstützten ihn Bischöfe aus den USA mit Geldzuwendungen, um seine Forschungen und Publikationen zu fördern, darunter der Kardinalerzbischof James Gibbons von Baltimore. Eine Berufung an die neu gegründete Katholische Universität von Amerika in Washington wehrte Pastor indes entschlossen ab.

Sicher und souverän beherrschte er das diplomatische Parkett in Rom. Als geistvoller und eloquenter Gastgeber von Empfängen wusste er zu glänzen, zum Beispiel als der Wiener Kardinalerzbischof Friedrich Gustav Piffl und der christlichsoziale Altbundeskanzler Ignaz Seipel im Verlauf des Jahres 1925 die Ewige Stadt besuchten. Die exzellenten Kontakte Ludwig von Pastors an der Römischen Kurie und zu den Päpsten öffneten so manche Tür, die sonst eher verschlossen geblieben wäre.

Am 29. September 1928 verstarb der Gelehrte, der ganz aus seinem christlichen Glauben lebte und sich als treuer Sohn der katholischen Kirche verstand, in Innsbruck und wurde bei der Kirche des Prämonstratenserstifts Wilten bestattet. An ihn erinnert ein Ehrenschrank in der Vatikanischen Bibliothek, der Publikationen, Tagebücher, Briefe, Orden, Auszeichnungen und anderes mehr enthält. Dieser Ehrenschrank geht auf die Initiative der Ehefrau Constanze und ihrer Familie zurück und wurde im Beisein von Papst Pius XI. 1933 enthüllt.

Im vorzustellenden Band beleuchten renommierte Sachkennerinnen und -kenner aus Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Österreich und dem Vatikanstaat Leben und Werk des »katholischen Gelehrten von Weltrang« und fragen kritisch nach der Relevanz seiner Schriften für Kirche, Politik und Wissenschaft im 21. Jahrhundert. So entsteht ein differenziertes Bild des Historikers und seines umfangreichen OEuvres, eine Gesamtwürdigung mit neuen Facetten und Zugängen wird aufgezeigt.

Das Buch eröffnet ein Grußwort des Aachener Bischofs Helmut Dieser, der darauf hinweist, wie lebhaft noch die Erinnerung an Ludwig von Pastor in Stadt und Bistum Aachen ist. Andreas Sohn bietet einen Überblick des Lebensweges und wissenschaftlichen Schaffens Pastors und legt unter anderem dar, dass sein Einsatz für die Denkmalpflege und das architektonische Kulturerbe Roms bislang noch nicht hinreichend gewürdigt worden ist und ihn dieses Engagement interessanterweise mit dem protestantischen, liberalen Stadthistoriker Ferdinand Gregorovius (1821-1891) aus dem ostpreußischen Neidenburg verbindet.

Der Zeithistoriker Thomas Brechenmacher (Universität Potsdam) befasst sich mit Werdegang und Selbstverständnis Pastors, die Kirchenhistorikerin Michaela Sohn-Kronthaler (Universität Graz) zeichnet dessen wissenschaftlichen und universitären Weg in Österreich nach. Andreas Gottsmann, Direktor des Österreichischen Historischen Instituts in Rom, erhellt sein Wirken als Historiker und Diplomat in der Ewigen Stadt, auch an der Spitze dieser Forschungseinrichtung. Wie sich der Aachener Gelehrte den Künsten in seinen Schriften widmete, geht Wolfgang Augustyn, stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, nach. Bischof Sergio Pagano, Präfekt des Vatikanischen Apostolischen Archivs (zuvor Vatikanisches Geheimarchiv), legt die Studien Pastors ebendort dar. Christine Maria Grafinger, früher mit der Leitung des Archivs der Präfektur der Vaticana betraut, gewährt Einblicke in dessen Forschung und Nachlass in der Vatikanischen Bibliothek.

Jacques Verger wendet sich dem Gelehrten als Mediävisten (Pastor médiéviste) zu und erhellt aus dieser Perspektive seine wissenschaftlichen Arbeiten. Dem spannungsvollen Gefüge von katholischer Restauration und evangelischer Reformation in seinem Werk widmet sich der evangelische Theologe und Kirchenhistoriker Volker Leppin (Universität Tübingen).

Übersetzungen von Pastors Geschichte der Päpste ins Englische, Französische, Italienische und Spanische – mit Beachtung der Rezeption in den jeweiligen Sprach- und Kulturräumen – behandeln die Historiker Thomas O’Connor (National University of Ireland Maynooth), Olivier Poncet (École national des chartes, Paris), Paolo Vian, Vizepräfekt des Vatikanischen Apostolischen Archivs, und Ludwig Vones (Universität Köln). Den Band beschließen die conclusio von Jacques Verger, die Zusammenfassungen der einzelnen Beiträge in Deutsch, Französisch und Englisch, das Register der Personennamen und eines der Ortsnamen.

Die Neuerscheinung zu Ludwig von Pastor und die beiden zuvor publizierten Bände zu dem dominikanischen Kirchen-, Ordens- und Universitätshistoriker Heinrich Denifle (1844-1905) aus Tirol, vom Vatikanischen Geheimarchiv aus wirkend, und dem oberschwäbischen Kardinal Franz Ehrle (1845-1934) aus dem Jesuitenorden, Bibliothekar und Archivar der Römischen Kirche, – jeweils von Andreas Sohn und Jacques Verger herausgegeben – bilden eine thematische Einheit. Diese drei Bücher formen ein Triptychon international hochangesehener katholischer Gelehrsamkeit aus den für Kultur, Wissenschaft und Hochschulwesen wichtigen Jahrzehnten vor und nach 1900.

Von Professor Dr. Andreas Sohn,
Universität Sorbonne Paris Nord