Noch bis 18. Oktober können in den Trajansmärkten in Rom 58 Modelle und Rekonstruktionen römischer Architektur der verschiedensten Kategorien und aus alles Teilen des Römischen Reiches besichtigt werden. Sie veranschaulichen die überwältigende Architektur, die von der Ewigen Stadt in die gesamte damals bekannte Welt ausstrahlte.
Ein Besucher jeder beliebigen Colonia (neu gegründete Siedlung) oder jedes Municipiums (eroberte Stadt) des römischen Weltreiches, vom Atlantik bis zum Euphrat, vom britischen Hadrian’s Wall bis Nubien, konnte augenblicklich erkennen, dass er sich eben im römischen Imperium befand, zweifellos dem bedeutendsten der antiken Reiche.
Denn ausgehend von Rom, der zentralen Urbs, wies jede Stadt nach deren Vorbild dieselben urbanen Anlagen und Gebäude auf: das Forum als Mittelpunkt des öffentlichen Lebens, ein meist von Säulen- oder Pfeilerhallen (porticus) zum Wandeln umgebener Hauptplatz, um den sich die Standorte der politischen, religiösen, juristischen, institutionellen und wirtschaftlichen Aktivitäten der civitas, der Gemeinschaft der Bürger (cives) konzentrierten: die Curia, Replik des römischen Senats auf dem Forum Romanum als Versammlungsort des Stadtrates (ordo decurionum); das comitium (Versammlungs- und Wahlort); der Tempel – stets in der Form eines capitoliums, in welchem nach dem Vorbild des gigantischen, ins 6. Jahrhundert v. Chr. zurückgehenden etruskischen Tempels des Jupiter Optimus Maximus auf dem römischen Kapitolshügel die kapitolinische Trias Jupiter, Juno, Minerva verehrt wurde; die basilica für die Rechtsprechung und kommerzielle Transaktionen (auf diese Bauform – mehrschiffig, erhöhtes Mittelschiff meist mit halbrundem Abschluss, der Apsis – sollten später die christlichen Kirchenbaumeister zurückgreifen!); der Markt (macellum).
Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist das langgestreckte Forum der 79 n. Chr. zerstörten Vesuvstadt Pompeji, mit einem dreizelligen capitolium (2. Jahrhundert v. Chr.), drei weiteren, Apoll, Vespasian und den Laren geweihten Heiligtümern, einem monumentalen macellum (neben dem capitolium), in dessen ehemaliger Quadriporticus sich Freskenreste erhielten und in dessen zentralem zwölfeckigen Brunnenhaus Fische gereinigt und verkauft wurden; an der südlichen Schmalseite befanden sich drei Verwaltungsgebäude für die Magistrate, flankiert links (westlich) von der ältesten perfekt erhaltenen und dem Ideal des augustäischen Architekten Vitruv entsprechenden basilica (2. Jahrhundert v. Chr.) mit ausgegrenztem tribunal für die Rechtsprechung; ihr gegenüber das comitium mit einer Tribüne für die städtischen Wahlen. Bei einem großen, einst mit Statuen geschmückten Gebäude in der Mitte der östlichen Längsseite, laut Inschrift gestiftet von der reichen Priesterin Eumachia, handelte es sich vielleicht um eine Börse. Zahlreiche Ehrenstatuen für Angehörige der kaiserlichen Familie und Würdenträger der Stadt schmückten den gewaltigen Platz, aus dessen Pflasterung die Archäologen schließen, dass er vom Verkehr ausgeschlossen, also eine »Fußgängerzone« war, die man sich von geschäftigen Menschen quirlend vorstellen muss.
Besonders die dem Staatskult dienenden capitolia sollten ein sichtbares Zeichen der engen Verbindung der Bürger, auch im entferntesten Winkel des Reiches, mit der Urbs darstellen. Schon die ersten römischen Kolonien erhielten ein capitolium, aber auch bereits existierende Städte wurden unmittelbar nach der Eroberung mit einem solchen aufwendigen Sakralbau versehen.
Jede römische Stadt besaß ein ähnliches Forum, inspiriert am Forum Romanum der Hauptstadt und dessen Erweiterung, nämlich den monumentalen, feierlichen Kaiserforen, wie dem Augustusforum. Auch hier sehen wir eine Einfassung von Säulengängen, von denen sich seitlich zwei hohe halbrunde Räume (Exedren) abzweigen, einst alle gefüllt mit Marmorstatuen von Heroen, dem Gründer Roms, Romulus, und von Stammvätern der julischen Dynastie – dem Trojaner Aeneas mit Vater und Sohn –, von Königen der Vorgängerstadt Albalonga, von bedeutenden Persönlichkeiten der Republik (summi viri); und der Kaiser selbst erschien in der Mitte des Platzes als Triumphator auf einer Quadriga – ein der Selbstdarstellung und politischen Propaganda dienendes ausgeklügeltes Bildprogramm. Kaiser Claudius ließ in einem Saal am Ende der linken Porticus eine 14 Meter hohe Kolossalstatue des Augustus aufstellen. Über den Säulen erhoben sich hohe marmorne Karyatiden, Kopien derjenigen des Erechtheions in Athen, dazwischen an der Rückwand Rundmedaillons mit Marmorköpfen von Jupiter Ammon und anderen Göttern. Das Zentrum aber bildete der dem Mars Ultor, dem rächenden Kriegsgott, geweihte Tempel. Augustus, der damals noch Oktavian hieß, hatte seinen Bau in einem Gelübde vor der Schlacht von Philippi (42 v. Chr.), in der die Mörder des Adoptivvaters Caesar, Brutus und Cassius, untergingen, versprochen. Vollendet wurde er allerdings erst 2 v. Chr.
Das sowohl architektonisch als auch ideologisch so bedeutende Forum wurde in den 1930er-Jahren vom Archäologen Italo Gismondi ausgegraben, der auch das in der Ausstellung gezeigte Modell anfertigte. – Gismondi ist bekannt für die monumentale Relief-Rekonstruktion des antiken Rom, und viele weitere Gipsmodelle antiker Monumente im gesamten Imperium, sowohl Bestandsaufnahmen als auch Rekonstruktionen, die sich im hochinteressanten Museo della Civiltà Romana im römischen Stadtteil EUR (Esposizione Universale Roma) befinden. Das Museum war von Mussolini im Hinblick auf die geplante Weltausstellung 1942 begonnen worden, um die Exponate der 1937 anlässlich des 2000. Jahrestages der Gründung Roms veranstalteten großen Schau Mostra Augustea della Romanità (Augustäische Ausstellung des Römertums) aufzunehmen. Es wurde erst nach 1950 fertiggestellt, ist jedoch seit 2014 aus statischen Gründen und zur Renovierung geschlossen.
Daher erscheint es mehr als willkommen, 58 Modelle römischer Architektur der verschiedensten Kategorien und aus allen Teilen des antiken Imperiums, solche von Gismondi, aber auch moderne Rekonstruktionen und Bestandsaufnahmen, wieder sichtbar zu machen, und besonders glücklich ist auch die Wahl des Ausstellungsortes: die sogenannten Mercati di Traiano/Trajansmärkte, wie bekannt kein Markt, sondern ein monumentaler, dem Trajansforum angeschlossener Verwaltungskomplex aus den Jahren 112-113 n.Chr., Sitz des Museums der Kaiserforen (Museo dei Fori Imperiali). So kann man in der großen antiken Eingangsaula im Hintergrund des erwähnten Modells des Augustusforums aus dem Museumsbestand ein teilweise originales Fragment von der Attika der Säulenhallen bewundern; ein Harzabguss einer Karyatide (Original nun im Archäologischen Museum Villa Corsini, Florenz), daneben das marmorne Original eines Rundmedaillons mit Jupiter-Ammon-Kopf (abgesehen von anderen originalen Fragmenten der Kaiserforen aus neuen Ausgrabungen 1998-2000 und danach).
Die Ausstellung, ein Projekt von Claudio Parisi Presicce, Direktor der archäologischen und Kunstmuseen der Stadt Rom, und von Claudia Cecamora, teilt das weitgespannte Material in sieben Sektionen (wobei auffällt, wie viele Beispiele Gismondi aus dem afrikanischen und vorderasiatischen Raum schöpfte). Denn zu dem in den römischen Städten vorhandenen, beliebig wiederholbarem regelrechten architektonischen Lexikon gehörten selbstredend außer dem erwähnten Forum (mit Curia, capitolia und anderen Tempeln; Sektion »öffentlicher Raum«) noch weitere Bauten, welche teils der Propaganda und dem Schmuck (heute würde man sagen »urbaner Dekor«), der Unterhaltung, vor allem aber der Infrastruktur dienten, damit diese Städte perfekt funktionierten: das Wasser als Dekoration der Stadt (Brunnen, Therme, Nymphaeum, das heißt architektonisch gestaltete Brunnenfassade); Unterhaltung (Amphitheater und Theater); Triumph, Ehre und Passagen (Ehren- und Triumphbögen, Stadttore); Handel (Markt, macellum); der individuelle, familiäre und staatliche Kult der Erinnerung; Memoria (Gräber und Denkmäler); Infrastruktur (Brücken, Aquädukte, Zisternen, castellum acquae, i. e. Verteilersystem des von den Aquädukten in die Städte geleiteten Wassers).
Besonders auf letzterem Gebiet zeigt sich die ganze Bravour der römischen Ingenieure. Bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. hatte der Zivilingenieur und Senator Frontinus dazu ein grundlegendes Werk, De acquis urbis Romae, verfasst und den Beginn der römischen Aquädukte in die 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. datiert (der erste war die Acqua Appia). Allein in Rom gab es elf Wasserleitungen, besonders bekannt ist jedoch die kühne Konstruktion des »Pont du Gard« in Südfrankreich. Der Meisterleistung waren sich die Zeitgenossen wohl bewusst, so Plinius d. Ä. (23/24-79 n. Chr.): »Wenn jemand genauer die Menge des Wassers an öffentlichen Orten, in Bädern, Fischbecken, Häusern, Gärten, und in den suburbanen Villen erwäget, zugleich die zu dessen Hinleitung erbauten Bögen, perforierten Berge, eingeebneten Täler: der wird bekennen, dass in der ganzen Welt nichts höher zu bewundern sei« (Naturalis historia XXXVI, 123).
Die Betrachtung der diversen architektonischen Typologien lässt erkennen, dass der klassischen römischen Kultur ein spezifisch städtischer Charakter zu eigen ist. Das will auch der Titel der Ausstellung betonen. Schon Cicero (De officiis 53) war der Ansicht, dass die Beziehung innerhalb einer Gemeinschaft (civitas) von Bürgern (cives), welche miteinander das Forum, Tempel, Porticusanlagen, Straßen, aber auch virtuelle Strukturen wie Gesetze, Rechte, Wahlen, Gewohnheiten und Geschäfte teilen – dass diese Beziehung stärker sei als die einer Nation, die Sprache und ethnische Wurzeln gemeinsam hat. – Es sind also der Ort und die dort ausgeübten Aktivitäten, welche eine Gemeinschaft heranbilden, und dieser Ort ist die Stadt (urbs), deren Bewohner die Gemeinschaft (civitas) bilden (wie im Deutschen, zum Beispiel »die ganze Stadt war anwesend«). Das dazugehörige Adjektiv »urbanus« bedeutet »verfeinert«, »raffiniert«, im Gegensatz zum »rusticus« der Landleute. Der Bürger, cives, teilt mit seinen Mitbürgern die »civilitas«, eine Tugend der zivilen Gesellschaft, welche auch ein ehrliches und höfliches Benehmen sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich impliziert. Davon setzte sich die Grobheit, »rusticitas«, des Landlebens ab.
Mit der Zeit nahm der Begriff »civilitas« auch die Bedeutung einer kulturellen Bereicherung an. Cives, civitas, civilitas – sie kreisen um den Brennpunkt Stadt, und mittels des Modells eines verfeinerten Stadtlebens in einem ästhetischen und funktionellen architektonischen Ambiente setzte sich die römische Kultur in den militärisch eroberten Gebieten durch, wurde sogar von den führenden Schichten der Eroberten imitiert: Sie wurden aktive Mitglieder der Civitas, finanzierten Bauten und veranstalteten Spiele. Man war klug genug, sie zwecks besserer Verwaltung in ein juristisches System zu integrieren. 90 v. Chr. wurde das römische Bürgerrecht allen frei geborenen Bewohnern der italischen Halbinsel verliehen, 212 n. Chr. durch Caracalla allen freien Bewohnern des gesamten Imperiums, wenn auch unter den Historikern Zweifel bestehen, ob es sich bei der Constitutio Antoniana um eine ethisch motivierte Integrationspolitik handelte oder vielmehr um ein fiskales Manöver, da die neuen Bürger nun Steuern zahlen mussten wie die Römer. Unbestritten ist jedoch die Tatsache, dass die urbane Kultur, die sich unter anderem in der modellhaften Architektur manifestierte, eine überaus starke, Identität schaffende Komponente bildete.
Abschließend sei bemerkt, dass Gismondis in die Dreißigerjahre datierbare gipserne Bestandsaufnahmen von Bauten besonders in Nordafrika und Klein- und Vorderasien (Libyen, Algerien, Tunesien, Libanon) auch einen dokumentarischen Wert besitzen, weil sie den Zustand vor zerstörerischen kriegerischen Ereignissen, auch in neuerer Zeit, dokumentieren. Beachtenswert ist, wie vielen Monumenten der »Africa Romana« und in Vorderasien sich Gismondi widmete. Der Großteil von ihnen wurde in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Tief beeindruckt stehen wir vor dem Modell der gewaltigen Anlage des Tempels des Jupiter Optimus Maximus in Baalbek (Libanon): dem eigentlichen monumentalen Tempel ist eine ausgedehnte Portikus vorgelegt, dieser ein sechseckiger Vorhof und diesem wiederum ein Torbau (Propylaeum). Es ist nur eines der überwältigenden Beispiele der römischen Architektur, welche von der Urbs in die gesamte damals bekannte Welt ausstrahlte.
»Civis, Civitas, Civilitas. Roma antica – modello di citta. Mercati di Traiano« – Museo dei Fori Imperiali, Via Quattro Novembre 94, täglich 9.30 – 19.30, Tel. 060608, www.mercatiditraiano.it; www.museiincomune.it.
Von Brigitte Kuhn-Forte