Die Sonne geht am Kapitol sacht unter und räumt einer frischen Brise das Feld, als eine junge Frau den Friedensappell verliest, mit dem das von der Gemeinschaft Sant’Egidio im Geist des großen Ereignisses von Assisi vom 27. Oktober 1986 organisierte Gebetstreffen »Niemand rettet sich allein. Frieden und Geschwisterlichkeit« endet: »Den Verantwortlichen der Staaten sagen wir: Lasst uns gemeinsam an einer neuen Architektur des Friedens arbeiten«, so liest die junge Frau bewegt. Da wird einem klar, dass das, was all die Seite an Seite sitzenden Religionsführer da tun, kein hübscher Aufmarsch ist, kein Ereignis, das darauf abzielt, an einem schönen römischen Oktoberabend Emotionen zu wecken, da der Friede nicht etwa ein schönes Gefühl ist, sondern harte Arbeit. Mühselig, konstant, geduldig, eine Arbeit, die der Kreativität bedarf: die Architektur des Friedens muss »neu« sein. Ihre Vorgängerin reicht offenkundig nicht mehr aus, muss instandgesetzt, aktualisiert, immer wieder neu erfunden werden. Europa mag auch, wie vor acht Jahren geschehen, den Friedensnobelpreis gewinnen, aber es ist offensichtlich, dass der beschleunigende Schub, der sich am Ende des Zweiten Weltkrieges abzeichnete (gerade in Rom, mit den [Römischen] Verträgen in den Fünfzigerjahren), verblasst zu sein scheint, dass ein Abwärtstrend begonnen hat. Das Wort »Architektur« beeindruckt: es lässt uns an die Fähigkeit denken, eine Vision zu haben, Projekte zu entwerfen, Träume zu hegen, die Vision, die Johannes Paul II. 1986 dazu veranlasste, diese Geschichte mit einer Geste in Gang zu setzen, die, wie Franziskus heute sagt, »einen prophetischen Samen in sich [trug], der mit Gottes Gnade nach und nach durch neu entstandene Treffen, Friedensaktionen und ein neues Denken der Geschwisterlichkeit herangereift ist«. Letztere ist, genau wie der Friede, keineswegs nur eine Vision, sondern auch ihrerseits eine Arbeit, ein aus körperlicher Anstrengung bestehendes Engagement, eine »handwerkliche« Arbeit, eine »Architektur«, die das Bild einer offenen, staubigen Baustelle in sich trägt, auf der es keineswegs leicht ist, das endgültige Projekt schon zu erkennen, es sei denn man ist Architekt. Im Evangelium wird Jesus als »der Sohn des Zimmermanns« bezeichnet, eine Übersetzung des griechischen Wortes tektòn, daraus abgeleitet archi-tékton, Oberster der Zimmerleute. Gott ist der wahre Architekt des Friedens, er allein kann eine »neue Architektur des Friedens« verwirklichen. Was aber ist auf dieser offenen (bzw. »unvollendeten«, wie man unter Verwendung eines anderen Begriffes sagen könnte, der Papst Franziskus lieb und wert ist) Baustelle die Aufgabe der Menschen? Es ist eine große Aufgabe, von der der Appell einige konkrete und dringende Aspekte umreißt: »Vereinen wir unsere Kräfte für das Leben, für die Gesundheit, für die Erziehung und für den Frieden! Der Zeitpunkt ist gekommen, dass die Ressourcen, die eingesetzt wurden, um immer zerstörerischere, todbringende Waffen herzustellen, jetzt genutzt werden, um für das Leben einzutreten und für die Menschen sowie für unser gemeinsames Haus Sorge zu tragen. Verlieren wir keine Zeit! Beginnen wir mit erreichbaren Zielen: vereinen wir fortan unsere Anstrengungen, um der Verbreitung des Virus Einhalt zu gebieten, solange es noch keinen geeigneten, allgemein verfügbaren Impfstoff gibt! Diese Pandemie macht uns deutlich, dass wir alle blutsverwandt, Schwestern und Brüder sind.« Das durch die Pandemie Covid-19 vergossene Blut hat weltweit die Millionengrenze an Opfern überschritten; der Schrei kommt in den Sinn, von dem Gott im Gespräch mit Kain spricht, der sich dem Geschick seines Bruders gegenüber gleichgültig erweist: »Wo ist Abel, dein Bruder?« Er antwortete: »Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders?« Er hub erneut an: »Was hast du getan? Das Blut deines Bruders erhebt seine Stimme und schreit zu mir vom Erdboden!« (Gen 4,9-10). Im Augenblick des Gebets war Eli Wiesel zitiert worden: »Das Gegenteil der Liebe ist nicht der Hass, sondern die Gleichgültigkeit.«
Das ist der Geist, der die Religionsführer bewegt und in Rom hat zusammenkommen lassen, um »Schluss!« zum Krieg zu sagen und gemeinsam für den Frieden, für den Geist der Verantwortlichkeit zu beten, die dazu bringt, mit Nachdruck zu sagen: »Niemand kann meinen, das gehe ihn nichts an. Wir sind alle mitverantwortlich. Wir alle haben es nötig, zu vergeben und bedürfen unsererseits der Vergebung. Die Ungerechtigkeiten der Welt und der Geschichte werden nicht mit Hass und Rache ausgeglichen, sondern durch den Dialog und die Vergebung.«
Das heißt es, Architekten und Handwerker des Friedens zu sein: eine neue Währung in Umlauf bringen, die kreativ ist und Leben hervorbringt, die Währung des Dialogs und der Vergebung, die, wenn sie »loyal, beharrlich und mutig« vorangetrieben werden, zum »Gegenmittel gegen Misstrauen, Spaltung und Gewalt« wird und die »Kriegsgründe« zusammenschmelzen lassen, »die das Projekt der Geschwisterlichkeit, das der Berufung der menschlichen Familie eingeschrieben ist, zerstören«.
Das Treffen endet und die Brise ist mittlerweile noch um einiges kälter geworden, aber da, auf der Bühne, brennt ein großes, strahlendes und wärmendes Feuer: Es ist der Friedensleuchter, der sich aus den brennenden Kerzen zusammensetzt, die jeder einzelne Teilnehmer der Veranstaltung mitgebracht hat. Eine kleine, »handwerklich erzeugte« Geste, die letztendlich aber eine Architektur hervorgebracht hat, die Licht und Wärme erzeugt, ein Licht der Wärme, das durch den schönen römischen Abend leuchtet und das Herz der zahlreichen Anwesenden wärmt, die geordnet und zuversichtlich nach Hause zurückkehren.
Von Andrea Monda