Ein Rombuch für Liebhaber

Deutsche Spuren in der Ewigen Stadt

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02. Oktober 2020

Die italienische Kulturgeschichte ist kaum zu denken ohne deutsche Einflüsse und umgekehrt. Diese enge Verbundenheit wird an keinem anderen Ort so deutlich wie in Rom. Männer und Frauen aus dem deutschen Sprachraum sind als Pilger, Kirchenleute, Künstler und Gelehrte in die Stadt gekommen und haben ihre Spuren hinterlassen. An diese Stätten führt ein neues Rombuch, das der Autor uns hier vorstellt:

Wer in ferne Länder reist, sucht dort zuerst das Fremde, Unbekannte. Reisen bildet wohl nicht zuletzt dadurch, dass man das Vertraute verlässt. Umso erstaunlicher ist es, wenn man in einem anderen Land Spuren der eigenen Identität findet. Diese Erfahrung lässt sich an keinem Ort der Welt intensiver machen als in Rom. Dort stößt man an allen Ecken und Enden auf deutsche Spuren. Wie könnte es auch anders sein, sind doch die italienische und die germanisch-deutsche Kultur seit zwei Jahrtausenden auf das engste verwoben. In der Antike herrschten die Römer über das Gebiet links des Rheins und südlich der Donau. Angefangen mit Karl dem Großen suchten alle deutschen Könige des Mittelalters die Krone Italiens zu erringen, bevor sie sich im Petersdom vom Papst zum Kaiser krönen ließen. Über die Platte, auf der die Krönungshandlung stattfand, laufen heute täglich unwissend Tausende von Touristen. Acht Deutsche wurden zum Papst gewählt, zuletzt Benedikt XVI. im Jahr 2005. Es waren zumeist Reformer, die nur wenige sichtbare Spuren in Rom hinterlassen haben. Drei von ihnen wurden in Rom begraben.

Im Mittelalter entstand auch eine regelrechte deutsche Siedlung in der Stadt, die zwischen Petersdom und Gianicolo gelegen war. In den engen Gassen lebten einst deutsche Handwerker, Gastwirte, Künstler und Mitarbeiter der vatikanischen Kurie. Der Name »Borgo« erinnert noch heute an diese Ursprünge, ebenso die Kirchennamen Santo Spirito und San Michele »in Sassia« (Sachsen). Letzter Überrest dieser deutschen Präsenz bei St. Peter ist der Komplex des Campo Santo Teutonico mit seinem berühmten Friedhof, auf dem Prominente wie der Dichter Stefan Andres, der Maler Joseph Anton Koch und der Archäologe Ludwig Curtius ruhen.

Seit dem Mittelalter kamen auch Pilger aus dem Bereich jenseits der Alpen in die Ewige Stadt. Als Hospiz für die Deutschen unter ihnen entstand im 14. Jahrhundert die Anima im Herzen der Stadt. Die zugehörige kleine Kapelle erhielt das Patrozinium Santa Maria delle Anime, Maria als Fürsprecherin der Seelen im Fegefeuer. Diese wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts als weite Hallenkirche (»alemannico more«, wie es bei den Zeitgenossen heißt) neu erbaut, vielleicht unter Beteiligung des großen Architekten Bramante. Jakob Fugger der Reiche zählte zu den Mäzenen. Das Gotteshaus gilt heute als deutsche Nationalkirche. Ein deutscher Kurat ist für die Seelsorge an den Katholiken deutscher Sprache zuständig, ein Österreicher leitet das zugehörige Studienkolleg. Eine Besonderheit der Anima war ihre rechtliche Stellung: In kirchlicher Hinsicht unterstand sie direkt dem Heiligen Stuhl. In politischer Hinsicht dagegen war sie wie viele Klöster im Reich reichsunmittelbar, also direkt dem Kaiser unterstellt. 1803 entging die Anima der Säkularisation. Seit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 bleibt sie somit eines seiner letzten Relikte. Das Einzugsgebiet von Kirche und Kolleg ist nach wie vor mit den alten Reichsgrenzen identisch. An diese besondere Stellung erinnert noch heute der Reichsadler, der den Turm bekrönt.

Martin Luther weilte 1510 in Rom und vollzog dabei all die damals üblichen frommen Übungen. Protestantischen Gläubigen blieb in der Hauptstadt des alten Kirchenstaates eine eigene Kirche verwehrt, und nichtkatholische Gottesdienste konnten allenfalls in den ausländischen Gesandtschaften gefeiert werden. 1817 fand ein erster lutherischer Gottesdienst in der Residenz des preußischen Gesandten statt. Bald darauf wurde eine Kapelle in der Gesandtschaft auf dem Kapitol errichtet. In dem Renaissancegebäude des Palazzo Caffarrelli, das ab 1871 als preußische Gesandtschaft beim Königreich Italien diente, wurde im Auftrag Kaiser Wilhelms II. ein eigener Thronsaal eingerichtet. Zum Botschaftsgelände gehörten auch ein protestantisches Hospital und das erste Archäologische Institut. Die Botschaftsgebäude wurden im Zuge des Ersten Weltkriegs durch Italien enteignet, Thronsaal und Kapelle zerstört. Übrigens wurden damals auch das österreichische Botschaftsgebäude, der Palazzo Venezia, und die prächtige Residenz des österreichischen Botschafters, der Palazzo Chigi, konfisziert.

Nach 1871 konnten sich nichtkatholische Gemeinschaften frei betätigen. Die lutherische Gemeinde fand in der Christuskirche eine neue Heimstatt. Die Arbeiten standen unter der Leitung Franz Schwechtens, des Erbauers der Berliner Gedächtniskirche. Wilhelm II. unterstützte den Neubau, da er von der Notwendigkeit einer sichtbaren Präsenz des Luthertums in Rom überzeugt war. Zu erzählen wäre auch vom protestantischen Friedhof an der Porta Ostiense, malerisch gelegen zwischen Aurelianischer Mauer und Caestius-Pyramide. Zahlreiche prominente Deutsche, Österreicher und Schweizer sind hier begraben, wie etwa August von Goethe, der Sohn des Dichters, oder Gottfried Semper.

»Pilger« anderer Art kamen in der Neuzeit nach Rom. Maler wie der junge Peter Paul Rubens oder Adam Elsheimer suchten ihren Stil an den großen Meistern zu schulen (Letzter liegt auch in Rom begraben). Anton Raphael Mengs machte die Stadt zum Mittelpunkt seines Wirkens und hinterließ wichtige Werke, unter anderem im Vatikan. Die Malerin Angelika Kauffmann, die Goethe während seiner Zeit in Rom porträtierte, war Mittelpunkt eines gebildeten Kreises. Ludwig I. von Bayern, dessen Villa in der Nähe der Spanischen Treppe man noch heute besuchen kann, förderte die Künstler. In seiner Nachbarschaft lebten die Nazarener in quasi klösterlicher Gemeinschaft. Sie hinterließen im Casino Giustiniani Massimo einen wenig bekannten Freskenzyklus. Auch im 20. Jahrhundert übte die Stadt eine große Anziehungskraft auf Künstler aus. An die Literaten Thomas Mann, der in seiner Wohnung in Nachbarschaft des Pantheons an den Buddenbrooks schrieb, und Ingeborg Bachmann, die ihr ganzes Leben nicht von Rom loskam, erinnern Gedenktafeln.

Wenn man den deutschen Spuren in Rom nachgeht, so findet man nicht nur ruhmreiche Spuren, sondern auch solche, die an die dunklen Zeiten des deutsch-italienischen Verhältnisses erinnern. In der Via Rasella sieht man noch die Einschusslöcher des Attentats, das italienische Partisanen im Jahr 1943 auf ein deutsches Polizeiregiment verübten. Die deutsche Militärkommandantur beschloss damals mit ausdrücklicher Billigung Hitlers, als Vergeltung für die 33 getöteten Männer zehnmal so viele italienische Geiseln erschießen zu lassen. Die Exekution fand in den Ardeatinischen Tuffsteinhöhlen nahe der Via Appia statt. Das dortige Museum ist für die Italiener ein wichtiger historischer Erinnerungsort. In der Dokumentationsstätte über den Widerstand im ehemaligen SS-Gefängnis kann man noch heute die Graffiti lesen, welche die Gefangenen an den Wänden hinterlassen haben.

Jörg Ernesti: Deutsche Spuren in Rom. Spaziergänge durch die Ewige Stadt. 224 Seiten, gebunden mit Leseband; Herder Verlag 2020, Euro 30,00 (DE), €30,90 (AT), Sfr 41,50 (CH); ISBN 978-3-451-38799-9.