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Die Geschichte

Als die Frauen ins Konzil einzogen

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26. September 2020

Wo ist die andere Hälfte der Kirche? Mit dieser Frage, die er in der Aula an die 2.500 Konzilsväter richtete, hatte Léon-Joseph Suenens, Erzbischof von Mecheln-Brüssel, die Forderung gestellt, dass auch Frauen anwesend sein sollten. Sie wurde dann von anderen Bischöfen und von den bei der Zweiten Sitzungsperiode des II. Vatikanischen Konzils anwesenden Auditoren aus dem Laienstand aufgegriffen. Es war ein Signal des aufkeimenden Bewusstseins, das empfinden ließ, wie schwer die Abwesenheit all derer in der Konzilsaula wog, die die Hälfte der Menschheit ausmachen. »Es ist Uns eine Freude, Unsere geliebten Töchter in Christus zu begrüßen, die Auditorinnen, die erstmals die Erlaubnis erhalten haben, Konzilsversammlungen beizuwohnen.« Und mit diesen Worten wandte sich Paul VI. am 14. September 1964 in seiner Eröffnungsansprache zur Dritten Sitzungsperiode des II. Vatikanischen Konzils an die zugelassenen 23 Auditorinnen, 10 Ordensfrauen und 13 Frauen aus dem Laienstand. Keine der Genannten war anwesend. Die Erste, die am 21. September die Konzilsaula betrat, war die französische Laiin Marie-Louise Monnet, Gründerin der Action catholique des milieux indépendents. Die bekanntesten [Auditorinnen] waren die Australierin Rosemary Goldie, Exekutivsekretärin des Ständigen Komitees der Internationalen Kongresse für das Laienapostolat, und die Italienerin Alda Miceli, Präsidentin des Centro Italiano Femminile. Zu ihnen gesellten sich noch an die zwanzig Expertinnen hinzu, darunter die Wirtschaftswissenschaftlerin Barbara Ward und die Pazifistin Eileen Egan.

Es wurden Frauen ausgewählt, die oft auf internationaler Ebene aktive Laienorganisationen vertraten oder koordinierten, sowie Generaloberinnen von Ordensgemeinschaften; keine von ihnen hatte ein systematisches Theologiestudium absolviert. Die »Konzilsmütter«, wie sie definiert wurden, nahmen – mit einer einzigen Ausnahme – wie bei einer Papstmesse in schwarzer Kleidung und mit einem Schleier auf dem Kopf an den Versammlungen teil. In den Pausen konnten sie in einen eigens für sie als Bar bereitgestellten kleinen Saal gehen. Pilar Bellosillo, Präsidentin der Weltunion katholischer Frauenverbände (WUCWO), wurde zweimal verwehrt, in der Öffentlichkeit das Wort zu ergreifen. Sie hatten weder das Rede- noch das Wahlrecht. Die Teilnahme der Auditorinnen sollte den Absichten der Konzilsväter zufolge einen ausgesprochen »symbolischen« Charakter aufweisen, wie selbst Paul VI.  in der Ansprache vorgab, in der er ihre Ernennung bekanntgab und ihre Anwesenheit begrüßte. In Wirklichkeit sollten sie alles andere als symbolisch sein, insofern sie mit Entschlossenheit und Kompetenz an den Arbeiten der Kommissionen teilnahmen. Ihre Präsenz war, wie in jüngerer Zeit ermittelt wurde, besonders lebhaft und bedeutsam, obwohl sie auf die beiden letzten Sitzungsperioden des Konzils beschränkt war, die dritte (14. September – 21. November 1964) und die vierte (14. September – 8. Dezember 1965), insofern die Frauen wichtige Eindrücke in den Konzilsdokumenten hinterließen, Memoranda einreichten und mit ihrer Erfahrung zur Abfassung der Dokumente beitrugen, vor allem bei Themenkreisen wie religiöses Leben, Familie und Laienapostolat. Die Anwesenheit zweier Kriegerwitwen trug dazu bei, das Gewicht der Frauen auch bei Diskussionen über den Frieden zu stärken. Außerdem muss auch der Beitrag der Wirtschaftswissenschaftlerin Barbara Ward bei der Debatte über die Präsenz der Kirche in der Welt und ihr Engagement dafür betont werden, dass die Kirche ein glaubwürdiges Wort zum Problem der Armut und zum Thema der Entwicklung des Menschen sprechen sollte.

Am 23. November 1965 veröffentlichten die 13 dem Laienstand angehörigen Auditorinnen eine gemeinsame Erklärung, in der sie Rechenschaft über die geleistete Arbeit ablegten. Im Bewusstsein, Zeuginnen einer historischen Etappe der Öffnung der Kirche gegenüber ihren Mitgliedern aus dem Laienstand gewesen zu sein, betonten sie die entscheidende Bedeutung einiger Dokumente, zu denen sie mit Diskussionen und mit im Gedankenaustausch einen wichtigen Beitrag geleistet hatten.

Sie bezogen sich dabei vor allem auf das 4. Kapitel von Lumen gentium, das den Laien gewidmet ist, auf Teile von Gaudium et spes, die die Mitwirkung der Gläubigen am Aufbau der menschlichen Gesellschaft betreffen sowie das Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem. Es ist mit ihr Verdienst, dass das Konzil also Fragen wie die Errichtung des Friedens, die Tragödie der Armut in der Welt, die Bemühungen, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu überwinden, die Verteidigung der Gewissensfreiheit, die Werte der Ehe und der Familie, die Einheit aller Christen, aller Gläubigen und der ganzen Menschheit behandelt hat. Der Beitrag der Auditorinnen aus dem Laienstand war von besonderer Bedeutung in jenen Ausschüssen, die den Auftrag hatten, das Dekret über das Laienapostolat und jenen Text zu redigieren, der als »Schema XIII« bezeichnet wurde und aus dem später die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, Gaudium et spes, wurde.

Der Einfluss der Auditorinnen schlug sich vor allem in jenen beiden Dokumenten nieder, an denen sie bereits in den Unterausschüssen mitgearbeitet hatten: den Konstitutionen Lumen gentium und Gaudium et spes, in welch letzterer die einheitliche Vision von Mann und Frau als »menschliche Person« und die grundsätzliche Gleichheit der beiden zu Tage trat. Die Antwort, die Rosemary Goldie dem Theologen Yves Congar erteilte, als der berühmte Dominikaner eine elegante Formulierung in das Dokument über das Laienapostolat einfügen wollte, in der er die Frauen mit der Zartheit der Blumen und der Sonnenstrahlen verglich, ist überaus vielsagend: »Vater«, sagte sie zu ihm, »lassen Sie die Blumen außen vor. Was die Frauen von der Kirche wollen, ist, als vollwertig menschliche Wesen anerkannt zu werden.«

Wir wissen um die maßgeblichen Beiträge einiger von ihnen (Rosemary Goldie, Pilar Bellosillo und Suzanne Guillemin), die darauf abzielten, dass die Bejahung der Würde der menschlichen Person über jede spezifische Überlegung über das Weibliche hinausgehen sollte, das man nicht als eigenständiges, abgesondertes Thema behandeln wollte, sondern ohne jedwede Art von Käfig, von jeder Einschränkung. Insbesondere bei der Wiedererlangung des Subjektseins in der Taufe. Der Primat der grundsätzlichen Gleichberechtigung, die den Gläubigen in der Taufe verliehen wird, verleiht allen, Männern wie Frauen, das Prinzip der apostolischen Mitverantwortung.

Die Laien, Männer wie Frauen, sind also nicht mehr zur Passivität und zum Zuhören verurteilt, sondern erhalten kraft der Taufe eine aktive und wichtige Rolle innerhalb der Kirche. Um den Stand der Dinge in der Kirche in dieser Frage zu verstehen, reicht im Übrigen der Brief, den der künftige Johannes Paul I., zu jener Zeit Bischof von Vittorio Veneto, an die Assistenten der Frauenunion und der Weiblichen Jugend der Katholischen Aktion gesandt hatte, wo er als Kommentar zur Ernennung der Auditorinnen Folgendes schrieb: »Niemandem wird das Herz bis zum Hals schlagen, wie es einem Pfarrer aus meiner Bekanntschaft widerfahren ist, als er neulich in der Zeitung las, dass sich Rosemary Goldie von der »Auditorin« beim Konzil zur »Rednerin« gemausert hatte, indem sie vor einer Gruppe von Bischöfen einige Vorbehalte zum Ausdruck brachte, die sie im Hinblick auf den Plan hinsichtlich der Laien hegte und der Hoffnung Ausdruck verlieh, dass dieser weniger bevormundend, weniger klerikal und weniger juristisch sei. ›Das wird soweit gehen‹, schloss der Pfarrer fassungslos –, »dass die Katholische Aktion für diese guten Töchter nicht mehr die Mitwirkung der Laien am Apostolat der kirchlichen Hierarchie sein wird, sondern die Mitwirkung der Hierarchie am Laienapostolat!‹… Sehen Sie, die Laien – sagte ich – halten einen gewissen Klerikalismus – nämlich dass alles, absolut alles, in der Kirche von den Bischöfen und den Priestern ausgehen muss – für eine Übertreibung«.

Von großer Bedeutung war der Beitrag der Auditorinnen auch im Hinblick auf die Überwindung des traditionellen vertragsartigen und juristischen Verständnisses der Institution der Familie dank der Wiedererlangung des grundlegenden Wertes der ehelichen Liebe, die auf einer »innigen Gemeinschaft des Lebens und der Liebe« gründet. Aus dieser Perspektive war der Beitrag der Mexikanerin Luz Marie Alvarez Icaza, Co-Präsidentin des Movimiento Familiar Cristiano, in der Unterkommission für Gaudium et spes ausschlaggebend dafür, die Einstellung der Bischöfe zum Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe zu ändern, die nun nicht länger als mit der Sünde zusammenhängendes remedium concupiscentiae (»Heilmittel gegen die Begierde«) anzusehen war, sondern als Ausdruck und Akt der Liebe. Luz Marie Alvarez Icaza, die höchst aktiv war in der Gruppe, die das »Schema XIII« prüfen sollte, stellte das zur Diskussion, was die vor dem Konzil benutzten Theologie-Handbücher als »vorrangige« bzw. »zweitrangige Ziele« definierten, wobei die Zeugung von Kindern beim Geschlechtsverkehr als vorrangig und das »Heilmittel gegen die Begierde« als zweitrangig angesehen wurde. Einem Konzilsvater antwortete sie: »Es stört uns Familienmütter sehr, dass unsere Kinder Früchte der Begierde sein sollen. Ich persönlich habe viele Kinder bekommen ohne jedwede Begierde: sie sind eine Frucht der Liebe.«

Man kann also den Anfang einer Reifung des Bewusstseins konstatieren im Hinblick auf den Beitrag, den die Frauen zum Leben der Welt und der Kirche leisteten. In diesem Zusammenhang ist besonders erleuchtend, was in Gaudium et spes 60 erklärt wird: »Die Frauen sind zwar schon in fast allen Lebensbereichen tätig, infolgedessen sollen sie aber auch in der Lage sein, die ihrer Eigenart angemessene Rolle voll zu übernehmen. Sache aller ist es, die je eigene und notwendige Teilnahme der Frau am kulturellen Leben anzuerkennen und zu fördern.«

Nichtsdestotrotz handelt es sich hier um Grundlagen, die auch heute noch Mühe haben, sich zu entwickeln und zu reifen. Eine Prüfung der erstellten Texte und der Ansprachen der Konzilsväter hat im Übrigen zu der Wahrnehmung geführt, wie wenig über die Veränderungen bekannt war, die im Universum der Frauen erfolgten, deren Eintritt ins öffentliche Leben Johannes XXIII. in Pacem in terris als »Zeichen der Zeit« bezeichnet hatte. Zugleich kann man aber auch nicht umhin, anzuerkennen, dass das Zweite Vatikanische Konzil den Frauen neue Perspektiven für die Anerkennung ihrer Identität und ihrer Ausübung von Diensten innerhalb der Kirche geboten hat. Vor allem bei der Wiedererlangung des Subjektseins in der Taufe wurden (wie in Lumen gentium und Gaudium et spes bekräftigt) neue Räume für die Präsenz von Frauen im Leben der Kirche geöffnet. Und neue Formen eines de facto ausgeübten Dienstes, eine Erneuerung des Ordenslebens, Zugang zu den Theologischen Fakultäten sowohl als Studierende als auch Dozentinnen haben das Antlitz der Ortskirchen auf den verschiedenen Kontinenten progressiv verändert und die Reifung neuer Sensibilitäten begünstigt. Das Konzil hat einen Wandel in diese Richtung in Gang gesetzt, von dem es kein Zurück mehr gibt. Und für die Frauen war der Zugang zum Theologiestudium mit Sicherheit einer der grundlegenden Schritte. Das bedeutet, dass die Geschichte der Kirche angefangen hat, auch von den Frauen berichtet zu werden, die sie interpretieren und erzählen.

Von Stefania Falasca


Die Frauen, die das Kunststück fertigbrachten


Auditorinnen aus Ordensgemeinschaften: Mary Luke Tobin (USA), Marie de la Croix Khouzam (Ägypten), Marie Henriette Ghanem (Libanon), Sabine de Valon (Frankreich), Juliana Thomas (Deutschland), Suzanne Guillemin (Frankreich), Cristina Estrada (Spanien), Costantina Baldinucci (Italien), Claudia Fiddish (USA), Jerome M. Chimy (Kanada).

Auditorinnen aus dem Laienstand: Pilar Belosillo (Spanien), Rosemary Goldie (Australien), Marie-Louise Monnet (Frankreich), Amalia Dematteis, verwitwete Cordero Lanza di Montezemolo (Italien), Ida Marenghi Miceli, verwitwete Grillo (Italien), Luz María Longoria mit ihrem Mann, José Alvarez Icaza Manero (Mexiko; sie hatten 13 Kinder), Margarita Moyano Llerena (Argentinien), Gertrud Ehrle (Deutschland), Hedwig von Skoda (Tschechoslowakei-Schweiz), Catherine McCarthy (USA), Anne Marie Roeloffzen (Holland), Gladys Parentelli (Uruguay).