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Zur Ausstellung »Renaissance in den Marken – Restaurierte Kunstwerke aus Erdbebenorten«

Aus Trümmern geborgene Kunstschätze

Cola dell’Amatrice, Segnender Christus, 1520-30 circa, abgenommenes Fresko aus der Kirche Santa Margherita, Pinacoteca Civica, Ascoli Piceno
10. Juli 2020

Die bemalte Steinskulptur »Madonna della Cona« misst nur 57 x 49 Zentimeter. Sie ist ein hochverehrtes Vesperbild, eine kleine Pietà aus dem 15. Jahrhundert, Künstler unbekannt. Jahrhundertelang war sie daheim in einem gleichnamigen Kirchlein in 1500 Metern Höhe bei Forca di Gualdo an der Grenze zwischen den Regionen Umbrien und den Marken. 2016 wurde das Gotteshaus beim Erdbeben in Mittelitalien am 30. Oktober größtenteils zerstört. Wenige Tage danach gelang es Feuerwehrleuten und den Carabinieri, die Madonna aus den Trümmern zu bergen. Jeweils im Juli, so wollte es die Tradition, waren Bewohner der Umgebung in Prozessionen zum Kirchlein gepilgert, um die Muttergottes zu verehren und anschließend dort ein Sommerfest zu feiern. Auf Bitten der Bevölkerung wurde die Statue deshalb fast ein Jahr nach dem Beben im Juli 2017 aus der Restaurierungswerkstatt geholt und für einen Tag wieder zwischen den Mauerresten der Marienkirche hoch oben auf dem Berg aufgestellt. Diese wartet noch auf ihren Wiederaufbau. Doch die »Madonna della Cona« selbst ist längst kunstvoll restauriert worden. Ihren diesjährigen Ehrentag im Juli erlebt sie weit weg von den Marken. Nämlich in Rom.

Die kleine Pietà gehört zu der Ausstellung mit 36 restaurierten Kunstwerken aus der Erdbebenzone im Museumskomplex von San Salvatore in Lauro, Sitz der seit 1600 bestehenden Stiftung »Pio Sodalizio dei Piceni« der italienischen Region Marken in Rom. Er liegt an der Piazza di San Salvatore in Lauro 15 in der Altstadt zwischen der Piazza Navona und dem Tiber und ist ein beliebter Treffpunkt für Italiener aus den Marken. Zur ständigen Sammlung gehören Werke der international bekannten Bildhauer Emilio Greco und Umberto Mastroianni. Aber seit Jahrzehnten gibt es dort auch immer wieder interessante Sonderausstellungen. Diesmal sind es die 36 Kunstwerke der Marken aus dem 15. bis 18. Jahrhundert, die sozusagen eine Renaissance, eine doppelte »Wiedergeburt« erleben.

Alle wurden nach der Erdbebenserie 2016 in Mittelitalien aus stark beschädigten bis zerstörten Kirchen, Palästen, Pinakotheken und sonstigen Gebäuden gerettet. Allein in den Marken hat man so 14.000 Kunstgegenstände geborgen. Viele müssen noch restauriert werden. Doch diese 36 gehören zu bereits restaurierten Werken, die dank öffentlicher und privater Finanzmittel wunderschön wiederhergestellt wurden. Nach einer ersten Ausstellung in Ascoli Piceno kamen sie im Februar nach Rom in den Mu­seumskomplex. Wegen des Corona-Lockdowns musste dieses Museum dann fast drei Monate schließen. Doch jetzt ist es wieder geöffnet und die Ausstellung geht bis 27. September weiter.

Es sind Kunstwerke von bekannten Künstlern, aber auch von anonymen Autoren, etliche von hohem Wert. Alle Maler und Bildhauer stammen aus den Marken oder haben lange dort gewirkt. Viele Bilder gehören zur venezianischen Schule mit byzantinischem Einfluss. Von dem Venezianer Iacobello del Fiore (1370 bis 1439), der auch das Urbild des Löwen von San Marco schuf, sind wunderschöne ausdrucksstarke »Szenen aus dem Leben der Heiligen Lucia« dabei: Lucia, wie sie die Eucharistie empfängt, auch der Moment, wie ihr der Dolch des Henkers in den Hals fährt. Vittore Crivelli (1440 bis 1502 circa), Bruder des berühmteren Carlo aus der Lagunenstadt, malte in den Marken Ende des 15. Jahrhunderts ein inniges Marienbild mit vielen Goldornamenten. Vincenzo Pagani (1490 bis 1568), Renaissancemaler aus Monterubbiano in den Marken, blickte ab den 1520er-Jahren auf die venezianische Schule. Sein Gemälde der Kreuzabnahme Christi (1529) in der Ausstellung ist ein treffliches Beispiel. Eindrucksvoll auch der »Segnende Christus« von Cola dell’Amatrice (1480 bis 1555 circa), ein abgenommenes Fresko aus der stark beschädigten Kirche Santa Margherita von Ascoli Piceno.

Andere weniger kostbare Werke wurden gerettet, weil sie wie das Vesperbild seit Jahrhunderten Gegenstand großer Volksverehrung waren. Weil ihr Aufstellungsort beim Erdbeben total zerstört wurde oder noch auf den Wiederaufbau wartet, sind etliche von ihnen zumindest vorläufig heimatlos. Sie werden nach Ausstellungsende in acht Lagern des Denkmalschutzes untergebracht, bis Kirchen und Paläste wieder hergestellt sind und sie dorthin zurückkehren können.

Die kunstbeflissene kleine Region Marken zwischen dem Appenin und der Adria hat nur gut 1,5 Millionen Einwohner, aber 106 Schlösser, 15 Festungen, 179 Türme, 96 Abteien, 183 Wallfahrtsstätten sowie 400 Museen – viele Stätten jetzt arg beschädigt. Im Zuge der Erdbebenserie wurden allein in dieser kleinen Region 25.000 Bewohner obdachlos. Gerade aus deren Reihen, so berichtete Pierluigi Moriconi von der Superintendanz der Marken für architektonische Bauten, seien viele Hinweise auf zu rettende Kunstgegenstände gekommen. Er ist Kurator dieser Schau zusammen mit dem Kunst- und Restaurierungsexperten Stefano Papetti von der Universität Camerino. Während diese Kunstwerke dank großzügiger Finanzhilfen und fachkundigem Einsatz jetzt gut geschützt und konserviert seien, so betonte Papetti, könne man das von dem architektonischen Erbe, aus dem sie stammen, nicht sagen. Da sei bisher allzu wenig geschehen. Der Kurator wünscht sich daher, dass diese Ausstellung dazu beitragen möge, auch die Verantwortlichen für den Wiederaufbau wachzurütteln.

Christa Langen-Peduto


Die Ausstellung ist bis 27. September im Museumskomplex von San Salvatore in Lauro, Piazza di San Salvatore in Lauro 15 in Rom, zu sehen. Öffnungszeiten montags bis samtags von 10 bis 13 Uhr und von 16 bis 19 Uhr. Eintritt gratis.