Die Grenze ist ein schmaler Landstreifen im Grenzgebiet zweier Staaten, eine offiziell begrenzte und mit einem Verteidigungssystem ausgestattete Durchgangszone. Im Lauf der Geschichte, besonders der amerikanischen Geschichte, steht die Grenze (frontier) aber auch für ein noch kaum besiedeltes Gebiet, das an noch unbekannte Länder bzw. Gebiete angrenzt und insofern als Ausgangspunkt für die kolonisierende Expansion verstanden wird. Darauf beziehen sich die Formulierungen »Pioniergeist« (spirit of the frontier, wörtlich: »Grenzgeist«) und »neue Grenze« (new frontier).
Wenn wir in im bildlichen Sinn von Grenze sprechen, dann entfernen wir uns nicht weit vom wörtlichen Sinn. Tatsächlich stellen wir uns eine Grenzlinie vor, die unterschiedliche Milieus, Situationen, Auffassungen und Disziplinen voneinander abgrenzt. Manche verstehen diese Linie als feste, unüberwindliche Grenze, die es zu verteidigen gilt. Andere verstehen sie dagegen als eine Grenze, die verschoben und modifiziert, also auch überquert werden kann, um fortschrittlichere Konzepte zu entwickeln. Nur in diesem letztgenannten Falle wird man wirklich zu »Pionieren«, genau wie die Frauen, um die es in dieser Monatsausgabe geht. Viele von ihnen überqueren beim Versuch, Brücken zu bauen, mutig die Grenzen verschiedener Ideologien, Religionen und Kulturen, immer auf der Suche nach Dialog und nach einer verlorenen Einheit. Wieder andere, die Vorurteile und etablierte Bräuche in Frage stellen, haben sich dafür entschieden, anhand konkreter Fakten Zeugnis für die Grenzüberschreitung abzulegen, und leben, während sie im Schatten bleiben, furchtlos in direktem Kontakt zu Wirklichkeiten, die weit über ihre comfort zone hinausgehen, in der Nachfolge des Lebens Jesu und Marias, die uns lehren, an den unbequemsten Orten auszuharren, wo wir uns desorientiert und oftmals auch als Fremde fühlen.
Die unterschiedlichen Zeugnisse dieser Frauen der Grenze (dieser Pionierinnen) bieten Gelegenheit zu tiefer Reflexion, insofern sie die spirituelle Veranlagung durchscheinen lassen, die ihnen gemein ist: nicht die Haltung derer, die ruhig in ihrem Heim, ihren Gewissheiten verbarrikadiert bleiben, und sie verteidigen, sondern vielmehr der Geist dessen, der ein unruhiges Herz hat, derer, die auf der Schwelle leidenschaftlich in Erwartung eines Besuches den Horizont absucht.
Dieses Auf-der-Schwelle-Stehen ist typisch auch für den Gläubigen, für den die Grenzlinie, die Grenze, zum Durchgangsort des Mysteriums wird, an dem man ein starkes Verlangen danach spürt, das oder denjenigen zu treffen, den man immer noch nicht durch und durch kennt. Man könnte also sagen, dass es uns in dem Maß möglich ist, Frauen oder Männer der Grenze zu sein, in dem wir uns auf der Schwelle dem Mysterium gegenüber öffnen, ohne unseren eigenen Mittelpunkt zu verlieren.
Francesca Bugliani Knox