Gleich gegenüber fließt der Tiber. Wer weitergeht, kommt zur pittoresken Piazza Navona mit Berninis herrlichem Vierströmebrunnen in der Mitte. Doch geschichtsinteressierte Pilger und Touristen sollten zunächst dieses Gebäude an der Piazza Ponte Umberto I betreten. Das kleine Napoleon-Museum (»Museo Napoleonico«) von Rom zeigt – bei freiem Eintritt – in zwölf Sälen reichhaltige französische Schätze, Gemälde ebenso wie Gemmen mit Büsten, Plüschsofas und Porzellanteller, kostbare Kerzenleuchter und Kleider, Waffen hinter Glas. Nach der coronabedingten Schließung ist vom 2. Juni bis 25. Oktober auch wieder die faszinierende Sonderausstellung zu besichtigen mit Projekten, die erstmals aus Museumsbeständen hervorgeholt wurden. »In Erwartung des Kaisers« heißt sie und stellt Rom als so nie verwirklichte Stadt vor, wie sie während der von 1809 bis 1814 dauernden französischen Herrschaft geplant war. Papst Pius VII. war verhaftet und ins Exil geschickt worden, zunächst nach Savona in Ligurien und dann aufs französische Schloss Fontainebleau. Und Rom sollte sozusagen »verweltlicht«, pompös umgebaut und nach Paris die bedeutendste Hauptstadt Europas werden.
Solche Träume blieben Schäume, nachdem der Papst 1814 zurückkehren konnte und der Kirchenstaat wiederhergestellt wurde. Napoleon selbst hat übrigens nie Rom betreten und sein Sohn Napoleon Franz aus zweiter Ehe mit der Habsburgerin Marie-Louise von Österreich auch nicht. Dabei war dieser schon vor der Geburt zum »König von Rom« ernannt worden. Aber die Familie Bonaparte – Napoleons Schwestern und Brüder, Nichten und Neffen, Kusinen und Cousins, zeitweise auch »Madame Mère«, seine Mutter – sie alle machten sich zeitweise in Rom heimisch. Und das nicht nur während der französischen Herrschaft, als Napoleon in Europa als Eroberer auftrat, sondern auch über seine militärischen Niederlagen, Verbannungen und seinen Tod hinaus. Dabei genossen die Bonapartes ab 1814 gar päpstlichen Schutz. Pius VII., einmal in Amt und Würden zurückgekehrt, zeigte sich der Familie gegenüber nicht nachtragend.
Von diesen Bonapartes erzählt die ständige Sammlung im Napoleon-Museum. Es befindet sich im Erdgeschoss des Palazzo Primoli. Vor allem Graf Giuseppe Primoli (1851 bis 1927), aber auch ein wenig sein Bruder Luigi, hatten ihr Leben lang Gemälde, Skulpturen und andere Kunstwerke, auch Möbel, Schmuck, Hofkleidung und weitere napoleonische Souvenirs gesammelt und dann der Stadt Rom vermacht. Die Primolis waren Nachkommen von Lucien Bonaparte, einem Bruder Napoleons, der mit diesem nicht immer auf gutem Fuß stand. Der Palazzo Primoli stammt seinerseits aus dem 16. Jahrhundert, wurde aber Anfang des 20. Jahrhunderts erweitert.
Gleich in den ersten beiden Sälen mit prachtvollem Pomp des von 1804 bis 1814 errichteten Imperiums thront Napoleon I. (1769 bis 1821) stolz zu Pferde. Das Ölgemälde von Joseph Chabord aus dem Jahre 1810 feiert seinen Sieg bei der Schlacht von Wagram bei Wien gegen die österreichische Armee im Jahre 1809. Das Reiterbild zeigt den Kaiser auf seinem Schimmel in der gebieterischen Pose der antiken Mark-Aurel-Statue auf dem römischen Kapitol – so wollte er sein und gesehen werden. Mit Dekret des Jahres 1806 hatte Napoleon persönlich jenes monumentale Bild als offizielles Porträt gebilligt. Es befindet sich in Gesellschaft von Ölgemälden mit allerlei Bonaparte-Familienangehörigen, die von den besten Malern jener Zeit verewigt wurden, mal in höfischer Pose, mal ganz konventionell gemalt. Auch »Madame Mère« und Kaiserin Joséphine, die erste Ehefrau Napoleons, sind in prachtvoller Robe dargestellt auf Ölleinwänden von Robert Lefèvre. Die Ehe mit Joséphine wurde wegen Kinderlosigkeit 1809 geschieden.
In den Sälen stehen zierliche Möbel im Empire-Stil, rote Brokatsofas, Stühle und Sessel aus verschiedenen Napoleon-Residenzen. Kunstvolle Büsten schmücken Kaminsimse und Wandnischen. In Vitrinen liegen Juwelen, die Mitgliedern der kaiserlichen Familie gehört hatten. Auch Schnupftabakdosen, fein bemalte Kästchen, Miniatur-Porträts – »Kleinodien«, die zum Teil Napoleon selbst Schwestern, Brüdern, Nichten und Neffen geschenkt hatte. Auch 24 mit allerlei Szenen bemalte Porzellanteller aus Paris, eine Gabe des Kaisers für seinen zum König von Spanien ernannten Bruder Joseph, sind ausgestellt. Der gesellige Graf Primoli, so berichtet der Museumsführer, hatte sie 1898 bei einem Bankett in seinem Palast zu Ehren von Wagners Ehefrau Cosima benutzt.
Im dritten Saal geht es um das Zweite Imperium unter Napoleons Neffen Louis Napoléon Bonaparte ((1808 – 1873), der 1852 unter dem Namen Napoleon III. zum Kaiser der Franzosen proklamiert wurde. Das Museum zeigt Bilder von ihm und seiner Frau Eugénie, gemalt von dem deutschen Aristokratenmaler Franz Xaver Winterhalter. Aber auch eine hübsche Terracotta-Skulptur des Kronprinzen als Kind, modelliert zusammen mit seinem Hund von dem Bildhauer Jean-Baptiste Carpeau. Zwischen Gemälden von weiteren Bonapartes auch ein riesiges Sofa in der Saalmitte, auf dem Gäste, sich den Rücken zukehrend, beidseitig sitzen konnten. Es stammt aus einem französischen Schloss und war in literarischen oder einfach nur mondänen Salons im Gebrauch.
Saal IV. ist dem »König von Rom«, dem unglücklichen Sohn von Napoleon und Marie-Louise aus der Habsburger Monarchie gewidmet. Der 1811 geborene einzige legitime Nachkomme, Napoleon Franz, wurde nur 21 Jahre alt und starb auf Schloss Schönbrunn bei Wien. Sein Schicksal war gezeichnet vom Lebenslauf seines Vaters zwischen glorreichen Siegen, Verbannung, erneuter kurzer Herrschaft, Abdankung. Schon vor der Geburt wurde Napoleon II. in spe zum »König von Rom« ausgerufen, nach dem Ende des Imperiums jedoch nach Wien ins Exil geschickt, dort von Fürst Metternich streng erzogen und dann vom kaiserlichen Großvater mütterlicherseits zum Herzog von Reichstadt ernannt. Während er immer mehr zum Deutsch-Österreicher wurde, wollten die Bonapartes ihn dennoch als Napoleon-Sohn und »König von Rom« feiern. Das zeigt sich im Museumssaal mit allegorischen Zeichnungen mit Titeln wie »Die Göttin Roms und der König von Rom« aus dem Jahre 1811. Auf einer sitzt Franz auf dem Schoss der thronenden Göttin, die die Ewige Stadt symbolisiert, über sich den kaiserlichen Adler und seitlich die römische Wölfin mit Romulus und Remus.
Beim weiteren Rundgang geht es um Franzosen in Rom auch vor der Napoleon-Herrschaft, dann um die triumphale Rückkehr Pius’ VII. 1814 aus dem Exil, schließlich um weitere Bonapartes. Napoleons Lieblingsschwester Pauline (1780 bis 1825), die mit dem römischen Fürsten Camillo Borghese vermählt wurde, hat einen eigenen Saal erhalten. Außer Gemälden und sonstigen Dekorgegenständen zeigt er auch Möbel aus Paris sowie Paulines Taschentücher mit Monogramm. Gewürdigt wird auch Lucien Bonaparte (1775-1840), der widerspenstige Bruder von Napoleon, der zunächst an der französischen Revolution teilgenommen und eine dem Kaiser nicht genehme Frau geheiratet hatte. Auch »Madame Mère« gelang es nicht, die Spannungen zwischen den beiden zu schlichten. Eine Zeichnung zeigt Lucien mit seiner Familie in Frascati, wo er zeitweise lebte. Und Saal XI beschäftigt sich schließlich mit den Bonapartes in Rom – dem ständig dort lebenden Zweig. Alle waren Nachfahren der Napoleon-Nichte Zénaïde und ihres Vetters Charles Lucien Bonaparte, von denen einige mit römischen Adeligen verheiratet waren. Ein Schrank birgt Bücher aus Napoleons privater Bibliothek. Der letzte Saal schließlich ist wieder den Primoli-Brüdern gewidmet. Bevor sie gegen Lebensende den Palast der Stadt zum Zweck der Einrichtung des Museums stifteten, hatte Graf Giuseppe Primoli dort Literaten, Intellektuelle und viele Künstler unter seine Gäste gezählt.
Seit Anfang Juni kann im »Museo Napoleonico« wieder die Sonderausstellung »In Erwartung des Kaisers« besichtigt werden: 50 Werke umfasst sie, alle aus Lagerbeständen des Napoleon-Museums und des »Museo di Roma« zusammengetragen. Als die Franzosen 1809 die Herrschaft in Rom übernahmen, so berichtet Kurator Marco Pupillo, war die Stadt ziemlich heruntergekommen und vernachlässigt, auch antikrömische Monumente waren nicht restauriert. Doch Kaiser Napoleon und sein Sohn, der »König von Rom«, die laut Plan eines Tages im Quirinalspalast zu erwarten waren, sollten eine schmucke Metropole vorfinden. Die Franzosen, so das Konzept, wollten die Renaissance links liegen lassen, den Ruhm der Antike wiederherstellen und die Papststadt verweltlichen, so das Konzept. Doch die archäologischen Ausgrabungen blieben weitgehend auf der Strecke, auch die geplanten Monumentalbauten wie Triumphbögen und Tiberbrücken im antikrömischen Stil zu Ehren des Kaisers.
Die Steinwüste, die Rom damals war, sollte durch Grünzonen mit Spazierwegen verschönert und dafür auch Häuser abgerissen werden. An der Spanischen Treppe zum Beispiel war ein
Ulmenpark vorgesehen. Interessant die Projekte von Friedhöfen, die aus hygienischen Gründen nach Meinung der Franzosen außerhalb der Stadt zu liegen hatten. Die Römer beerdigten bis dahin ihre Toten in der jeweils eigenen Pfarrei. Einer sollte in der Gegend der »Pineta Sacchetti« entstehen – davon sind nur ein paar dort schon angepflanzte Zypressen übriggeblieben. Das Projekt in Tor San Lorenzo hingegen, mit dem Verano-Friedhof, wurde später zumindest ähnlich verwirklicht. Dennoch war das erträumte Rom nicht ganz ohne Nachwirkung. Als weder Kaiser noch König kamen und stattdessen der Papst zurückkehrte, änderte sich doch etwas. Marco Pupillo: »Zumindest setzte sich in der Mentalität der Leute die Idee durch, dass Rom wirklich modernisiert werden musste.«
Christa Langen-Peduto
Info: Das »Museo Napoleonico« an der Piazza di Ponte Umberto I, 1 ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei, wegen der Covid-19-Massnahmen müssen aber auch Gratiskarten telefonisch vorbestellt werden unter der städtischen Telefonnummer 060608; Internet: www.museonapoleonico.it