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Die Ideen

Eine Kirche mit dem Gehirn einer Mutter

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30. Mai 2020

Die Mutterschaft ruft eine Neuronenexplosion hervor und stattet das Gehirn mit neuen Fähigkeiten aus. Es scheint, dass Mutter Natur die Mütter biologisch darauf vorbereitet, angesichts von Notfällen zu reagieren und das Leben zu beschützen. So ist beispielsweise bei den Ratten das Muttertier sehr viel eher imstande, sich Gefahren zu stellen, Stress zu bewältigen und den Weg heraus aus einem Labyrinth zu finden als eine jungfräuliche Ratte. Dabei ist interessant, dass sich diese Eigenschaften auch bei den Weibchen anderer Arten finden, die Jungtiere adoptieren, die sie nicht selbst geboren haben. Die Pflegetätigkeit ruft neurologische  Veränderungen hervor. In der Welt der Menschen heißt als Frau geboren zu werden noch nicht, dass man auch Mutter ist. Mutter wird man durch eine Verwandlung der weiblichen Identität, die – wie Giulia Paola Di Nicola in Il linguaggio della madre (Città Nuova) schreibt – den Schritt vom »für sich selbst da sein zum für jemand anderen da sein« tut. Bei dieser »Dezentralisierung« handelt es sich nicht mehr um eine vom Instinkt geregelte Anpassung: es handelt sich um eine Verwandlung, die die Freiheit beschneidet, um echte Wehen. Und dazu kommt es nicht immer. Es gibt Frauen mit Kindern, die vielleicht keinen »Mutterinstinkt« haben, und zur Mutterschaft berufene Frauen, die keine biologischen Kinder haben. Das Gehirn einer Mutter ist kreativ dabei, Wege zu finden, sich um [ein Kind] zu kümmern, es multipliziert seine Kraft, es versteht, Risiken einzugehen und sich aufzuopfern. Angesichts von Notfällen reagiert es kreativ. In dieser Nummer von »Frauen – Kirche – Welt« erzählen wir die Geschichten von Frauen mit dem Hirn einer Mutter. Mutige und resiliente, psychisch widerstandsfähige Frauen, die es fertigbringen, in Kriegen, Epidemien, bei Hunger, Armut, Menschenhandel…, in jeder existentiellen Peripherie an vorderster Front zu stehen, vorgefassten Verhaltensmustern den Fehdehandschuh hinzuwerfen und unter Aufopferung ihres eigenen Lebens Leben zu schenken. Diese Frauen verkörpern das Angesicht der Mutter Kirche, die aufgerufen ist, ein »mütterliches Hirn« zu entwickeln, eine »Mutter mit offenem Herzen« zu werden (Evangelii gaudium, 46), die auf die Armen und Marginalisierten hin ausgerichtet ist (ebd., 48). Eine Mutter Kirche »im Aufbruch«, die niemals auf die eigenen Sicherheiten zurückgreift und jede Versuchung einer Starrheit der Selbstverteidigung überwindet (ebd., 45), jede Versuchung, sich in einer Anhäufung von fixen Ideen, Verfahren oder Strukturen zu verstricken (ebd., 49). Eine Mutter Kirche ist »dezentriert«: sie versteht aufzubrechen, ohne auf sich selbst zu schauen, ohne Furcht, zu verunglücken, sich zu verletzen oder schmutzig zu machen und die keine Ruhe findet, solange auch nur ein einziges ihrer Kinder keinen Lebenshorizont sein eigen nennt. Die Frauen dieser Monatsausgabe wecken das mütterliche Hirn der Kirche und regen durch ihr Vorbild und ihre Worte an, dass jedermann – Männer und Frauen, welchen Glaubens und Bekenntnisses sie auch seien – es adoptieren und sich zu eigen machen. Der Notstand ist  eine günstige Gelegenheit, aus sich herauszugehen und dem andern zu begegnen.

Marta Rodriguez