Bis Pfingsten steht sie noch im Altarraum: die Osterkerze, Symbol für den Auferstandenen und das Heilswirken Gottes. Anschließend findet sie ihren Platz in der Nähe des Taufbeckens und tritt bei zwei Feiern noch einmal in den Mittelpunkt: bei der Taufe, wenn die Taufkerze an der Osterkerze entzündet wird, und bei der Beerdigung, weil die christliche Hoffnung auf die Auferstehung Christi gegründet ist.
Licht ins Dunkel zu bringen ist meistens gut. Ein Licht im Dunkeln gibt Orientierung. Es tut gut, bei einer brennenden Kerze zu sitzen, wenn es dunkel ist. Beleuchtung ist einfach notwendig, wenn man nicht reglos im Finstern sitzen will. Das war schon in der Antike so: »Wenn bei Anbruch der Dämmerung allabendlich die Öllampen entzündet und herbeigebracht wurden, wurde dies in der antiken Kultur nicht nur als ein nützlicher Vorgang, sondern als ein bedeutungsvoller Akt betrachtet, der sowohl zu Hause als auch bei der Liturgie des Tempels und der Gemeinde mit religiösen Zeremonien verbunden war. Mit Zurufen wie ›gut‹, ›liebenswürdig‹ und ›freundlich‹ wurde das Licht begrüßt, das in der Finsternis der anbrechenden Nacht erstrahlte« (Deutsches Liturgisches Institut Trier).
Für die Christen war das ganz alltägliche Licht auch ein Anlass, an die »Erleuchtung« durch Jesus Christus zu erinnern und für sie zu danken. Ein Hippolyt von Rom zugeschriebener Text überliefert zu Beginn des zweiten Jahrhunderts eine Lichtsegnung. Wenn der Diakon beim abendlichen Essen die Lampen in den Speisesaal brachte, betete der Bischof: »Wir preisen dich, Vater, denn dir gebührt Größe, Hoheit und Ehre. Dir danken wir durch deinen geliebten Sohn, unsern Herrn Jesus Christus. Durch ihn hast du die Augen unseres Herzens erleuchtet und uns das unvergängliche Licht enthüllt. Der Tag, den wir durchmessen haben, geht nun zu Ende, die (finstere) Nacht bricht an. Wir sind satt geworden von der Fülle des Lichtes, das du geschaffen hast, um uns zu erquicken. Da wir das Licht auch jetzt am Abend dank deiner Güte nicht entbehren, loben und preisen wir dich durch deinen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus. Durch ihn sei dir Herrlichkeit, Macht und Ehre, mit dem Heiligen Geist, jetzt und allezeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit.«
In der römischen Antike waren Öllampen das gebräuchlichste Beleuchtungsmittel. Sie waren meist aus Ton gefertigt und selbst in armen Haushalten ein selbstverständlicher Teil des Hausrats, ein erschwinglicher Massenartikel. Viele waren mit beliebten Motiven aus dem Alltag, aus der Natur oder der heidnischen Götterwelt verziert. Christen scheinen auch hier schon das Alltagslicht mit der Dankbarkeit an Gott verbunden und als Symbol für ein anderes »Licht« gesehen zu haben, denn man hat Öllampen gefunden, auf denen ganz einfach »Deo Gratias« stand. Andere tragen Symbole wie den Fisch oder das Christusmonogramm. So wird die Lampe zum Hinweis auf Christus, das Licht der Welt. Theoretisch könnte man auch einen handelsüblichen modernen Lichtschalter auf diese Art und Weise verzieren… – wenn man den einen sehr ausgeprägten Sinn für Symbolik im Alltag hätte.
Eine besondere Symbolik zeichnet die Osterkerze aus, die in den Texten der Lichtfeier, dem ersten Teil der Liturgie der Osternacht, ausgedeutet wird. Der Priester zündet die Kerze am Osterfeuer an und spricht dabei: »Christus ist glorreich auferstanden vom Tod. Sein Licht vertreibe das Dunkel der Herzen.« Das Licht wird in die dunkle Kirche gebracht. Dabei wird dreimal im Wechsel zwischen dem Zelebranten, der die Osterkerze trägt, und den Gläubigen gesungen: »Christus, das Licht!« Alle antworten: »Dank sei Gott (Deo gratias)«. Von der Osterkerze erhalten alle Gläubigen das Licht für ihre eigenen Kerzen. So wird die Finsternis vertrieben. Diese symbolische Geste ist kein nur äußerlicher schöner Brauch, sondern »erhellt« eine tiefe Wahrheit: wirklich im Licht der Auferstehung leben, dem unvergänglichen Licht. »Entflamme in uns die Sehnsucht nach dir, dem unvergänglichen Licht« (Aus dem Gebet zur Weihe des Osterfeuers). Dazu heißt es im Kolosserbrief (1,12-13), in Dankbarkeit für das Geschenk der Erlösung: Gott »hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind. Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen…«
Der Tradition und den liturgischen Vorschriften entsprechend soll die Osterkerze eine gewisse Größe haben, weil sie bedeutsam ist, ein Gewicht hat – das der Priester spürt, wenn er sie trägt. Gewichtige Präsenz des Auferstandenen sozusagen.
Die Kerze soll außerdem verziert sein. Das Zeichen des Kreuzes und der Nägel, Zahlen und Buchstaben sagen etwas darüber aus, wer Christus ist: der Retter und Gott, dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden, dem wir unsere Freiheit und unser Heil verdanken. Was ist im Einzelnen zu sehen? Ein Kreuz aus einem senkrechten und einem waagrechten Balken, die griechischen Buchstaben Alpha (über dem Kreuz) und Omega (darunter), zwischen den Balken die Jahreszahl und auf ihnen fünf »Nägel« aus Wachs. Wenn der Priester die Kerze segnet, berührt er diese Verzierungen und spricht dazu: »Christus, gestern und heute (senkrechter Balken), Anfang und Ende (Querbalken), Alpha (über dem Kreuz) und Omega (unter dem Kreuz). Sein ist die Zeit (1. Ziffer) und die Ewigkeit (2. Ziffer). Sein ist die Macht und die Herrlichkeit (3. Ziffer) in alle Ewigkeit. Amen (4. Ziffer).« In das eingeritzte Kreuz kann der Priester fünf Weihrauchkörner einfügen (oder fünf »Nägel« aus Wachs); dabei spricht er: »Durch seine heiligen Wunden (1), die leuchten in Herrlichkeit (2), behüte uns (3) und bewahre uns (4) Christus, der Herr. Amen (5).«
Den Abschluss der Lichtfeier bildet das Exsultet, ein Hymnus, der das Ostergeheimnis besingt: »O wahrhaft selige Nacht, die Himmel und Erde versöhnt, die Gott und Menschen verbindet!« Er enthält mehrere sogenannte O-Akklamationen, als könne man es nicht fassen: »O unbegreifliche Fülle der Liebe…«
Auch die Kerze wird mit poetischen Worten gelobt, die sogar die Sterne miteinbeziehen: »Darum bitten wir dich, o Herr: Geweiht zum Ruhm deines Namens, leuchte die Kerze fort, um in dieser Nacht das Dunkel zu vertreiben. Nimm sie an als lieblich duftendes Opfer, vermähle ihr Licht mit den Lichtern am Himmel. Sie leuchte, bis der Morgenstern erscheint, jener wahre Morgenstern, der in Ewigkeit nicht untergeht: dein Sohn, unser Herr Jesus Christus, der von den Toten erstand, der den Menschen erstrahlt im österlichen Licht; der mit dir lebt und herrscht in Ewigkeit. Amen.«
Der »liebliche Duft« bezieht sich auf das früher verwendete Bienenwachs. Auch diese emsigen Tierchen erhalten Lob: »Denn die Flamme wird genährt vom schmelzenden Wachs, das der Fleiß der Bienen für diese Kerze bereitet hat.«
In der Flamme »wandelt die Kerze ihren reinen Leib in warmes, strahlendes Licht«. »Hoch aufgerichtet, rein und adelig« sagt sie: »Herr, hier bin ich!« Mit diesen Worten beschreibt Romano Guardini das »heilige Zeichen« der Kerze und sieht diese als Sinnbild für den, der auf sie blickt, als Ausdruck der eigenen Haltung: »Es ist der tiefste Sinn des Lebens, sich in Wahrheit und Liebe für Gott zu verzehren, wie die Kerze in Licht und Glut.« Mehrere Deutungen sind möglich. Sie wird auch mit der Feuersäule verbunden, die das Volk Israel durch das Rote Meer in die Freiheit geführt hat.
Nicht nur die Kerze soll groß sein, zuweilen ist auch der Leuchter überdimensional, zum Beispiel in St. Paul vor den Mauern (Ende 12. Jh.): Er ist fast sechs Meter hoch. In einer Inschrift spricht der Osterleuchter in erster Person: »Ich stütze das Licht. Ich verkünde Freude und Glückseligkeit dieses Festtags: Christus ist auferstanden.«
Es tut gut, im Dunkeln vor einer brennenden [Oster]kerze zu sitzen, still zu werden, sie betrachten… und nachzudenken. Gott lässt den Menschen nicht im Dunkeln sitzen. Vielleicht spricht die Kerze wie der Leuchter in St. Paul vor den Mauern: »Er aber legte seine rechte Hand auf mich und sagte: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch siehe, ich lebe in alle Ewigkeit …« (Offb 1,17-18).
Johanna Weißenberger