Interview mit Kardinal Marc Ouellet

Plädoyer für mehr Frauen in der Priesterausbildung

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25. April 2020

Es ist eine Tatsache: Frauen sind meist in der Mehrzahl, wenn es um das pastorale Wirken der Priester geht, sei es als Empfängerinnen oder als Mitarbeiterinnen. Unter Nummer 151 der Ratio fundamentalis aus dem Jahr 2016 ist zu lesen, dass die Beteiligung der Frau an der Seminarausbildung eine besondere Bedeutung für die Ausbildung hat, nicht zuletzt in Bezug auf die Anerkennung der Komplementarität von Mann und Frau. Nach Ansicht von Kardinal Marc Ouellet, Präfekt der Kongregation für die Bischöfe, gibt es noch viel zu tun. Das Modell sei noch sehr klerikal. Er plädiert für eine kulturelle Revolution.

Eminenz, Sie haben bereits die Beteiligung der Frauen bei der Priesterausbildung und bei der geistlichen Begleitung befürwortet. Können Sie uns sagen warum und wozu?

Sie können auf vielfältige Weise beteiligt sein: in der theologischen, philosophischen Lehre, der Lehre im Bereich der Spiritualität. Sie können Teil des Ausbildungsteams sein, insbesondere bei der Unterscheidung der Berufung. In diesem Bereich brauchen wir die Ansicht der Frauen, ihre Intuition, ihre Fähigkeit, die menschliche Seite der Kandidaten, ihren Grad affektiver oder psychologischer Reife zu erkennen.

Was die geistliche Begleitung betrifft, können Frauen sicherlich eine Hilfe sein, aber ich denke, dass es besser ist, wenn ein Priester den Priesteramtskandidaten begleitet. Frauen dagegen können die menschliche Formung begleiten, ein Aspekt, der meiner Meinung nach in den Priesterseminaren nicht ausreichend entwickelt ist. Es ist notwendig festzustellen, wie frei die Kandidaten sind, inwieweit sie in der Lage sind, konsequent zu sein, ihr Lebensprogramm und auch ihre psychische und psycho-sexuelle Identität zu festigen.

Affektivität ist ein Feld, auf dem die priesterliche Ausbildung unzureichend zu sein scheint. Es gibt eine weiteres heikles Problem: den Klerikalismus, das Kastendenken der Priester, zuweilen auch das Gefühl der Straffreiheit. Kann die Beteiligung von Frauen an den Ausbildungsteams in diesen entscheidenden Punkten eine Hilfe sein?

Ich glaube, dass die Zusammenarbeit mit Frauen auf Augenhöhe dem Kandidaten hilft, seinen zukünftigen Dienst zu sehen und auch die Art und Weise, wie er die Frauen zu respektieren und mit ihnen zusammenzuarbeiten versteht. Wenn man damit nicht in der Ausbildungszeit beginnt, dann besteht die Gefahr, dass der Priester seine Beziehung zu Frauen auf klerikale Weise lebt.

In der Ratio fundamentalis, die 2016 von der Kongregation für den Klerus veröffentlicht wurde, wird eine ganzheitliche Ausbildung und Formung des Priesters in den Blick genommen, die in der Lage ist, die menschliche, intellektuelle und pastorale Dimension zu vereinen. Ist in diesem Kontext die Beteiligung der Frauen eine Ergänzung oder ist sie grundlegend?

Ich glaube, dass der Text weitere Öffnungen und Entwicklungen braucht. Wir befinden uns noch in einer klerikalen Auffassung der Ausbildung, die sich um Fortschritte bemüht, aber fortsetzt, was man getan hat. Es gibt zusätzliche Elemente im Hinblick auf die menschliche Formung, aber ich denke, dass der Text noch sehr unzureichend ist, was die Einbeziehung der Frau in die Ausbildung betrifft.

Oft ist zu hören, dass den Frauen Aufgaben mit Entscheidungsverantwortung übertragen werden sollten. Das ist sicher wichtig. Aber wenn ich richtig verstanden habe, erhoffen Sie sich vor allem eine kulturelle Revolution? Vielleicht einen Mentalitätswandel?

Ja, genau. Kürzlich habe ich bei der Vollversammlung der Kongregation für das Katholische Bildungswesen einen Vortrag gehalten und darin die kreative Bedeutung der Einleitung von Veritatis gaudium für die Erneuerung der höheren kirchlichen Studien unterstrichen (Veritatis gaudium ist die Apostolischen Konstitution von Papst Franziskus über die kirchlichen Universitäten und Fakultäten vom 29. Januar 2018). Aber ich habe auch darauf hingewiesen, dass ein Aspekt fehlt: die Frage der Frau und die Antwort der Kirche darauf. Es geht nicht nur darum, die Frauen zu fördern, sondern man muss sie als integrativen Teil der gesamten Ausbildung und Formung sehen. Es wäre notwendig gewesen, dass in einem so wichtigen, zukunftsweisenden Text wenigstens ein Hinweis darauf enthalten wäre. Das ist bezeichnend für die Situation, in der wir uns noch befinden! Bei meinem Vortrag im Rahmen der Vollversammlung der Kongregation für das Katholische Bildungswesen waren die Rektoren der römischen Universitäten anwesend, darunter nicht wenige Frauen, aber im Verhältnis eins zu zehn. Es gibt noch viel zu tun bei den höheren Studien der katholischen Universitäten. Kulturelle Revolution bedeutet einen Mentalitätswandel.

Um auf die Priesterausbildung zurückzukommen: Ein Priester kann lernen, gut zu predigen, alle Gottesdienste so zu halten, wie es sich gehört. Aber Pastoral bedeutet vor allem Sorge um die Menschen. Und die Aufmerksamkeit für die Menschen ist von Natur aus ein Merkmal der Frau. Es zählt die Sensibilität der Frau für den konkreten Menschen, weniger für dessen Funktion. Papst Franziskus bittet uns im Sinne einer umfassenden pastoralen Umkehr, die Menschen zu berücksichtigen und uns zu fragen, was wir tun, um sie so zu begleiten, dass sie wachsen können. Bis jetzt haben wir uns vor allem um die Rechtgläubigkeit gekümmert, die Lehre gut zu kennen, sie gut zu unterrichten. Aber all die armen Leute, die sie »verdauen« müssen… Wie können wir sie begleiten?

Die Beziehung Frau-Priester ist noch sehr vielen Zwängen unterworfen. Häufig gibt es eine wechselseitige »Befangenheit«. Schwierigkeit, eine Beziehung auf Augenhöhe zu finden, haben Sie vorhin gesagt. Woran liegt das? An einigen Mängeln in der Priesterausbildung?

Das Problem liegt wahrscheinlich tiefer. Es kommt daher, wie die Frau in den Familien behandelt wird. Es gibt Befangenheit, weil eine gewisse Furcht vorhanden ist… Mehr von Seiten des Mannes gegenüber der Frau, als von der Frau gegenüber dem Mann. Für einen Priester, für einen Seminaristen stellt die Frau angeblich eine Gefahr dar! Während dagegen die wirkliche Gefahr die Männer sind, die kein ausgewogenes Verhältnis zu den Frauen haben. Das ist die Gefahr im Priestertum, das ist es, was wir radikal ändern müssen. Daher ist es wichtig, dass es in der Ausbildung Kontakt, Austausch, Auseinandersetzung gibt. Das hilft dem Kandidaten, sich gegenüber Frauen natürlich zu verhalten und auch die Herausforderung zu meistern, die die Präsenz der Frauen, die Anziehung durch die Frau darstellt. Das muss man von Anfang an lehren und lernen. Man darf die zukünftigen Priester nicht isolieren, die dann ganz brutal in der Realität ankommen werden und die Kontrolle verlieren können.

Viele meinen, dass die Missbrauchskrise keine so dramatischen Ausmaße angenommen hätte, wenn Frauen mehr an der Ausbildung (und am Leben) der Priester beteiligt gewesen wären. Stimmt das oder ist das bloß ein Klischee?

Da ist sicherlich etwas Wahres dran. Weil der Mensch ein emotionales Wesen ist. Wenn die Interaktion zwischen den Geschlechtern fehlt, besteht die Gefahr der Entwicklung von Kompensationen… die die Ernährungsweise betreffen oder in der Ausübung von Macht oder in geschlossenen Beziehungen zum Ausdruck kommen können, ein Abgeschlossenheit, die Manipulation, Kontrolle wird… und zu Gewissensmissbrauch und sexuellem Missbrauch führen kann. Ich glaube, dass es für den Priester ein humanisierender Faktor ist, der das Gleichgewicht der Persönlichkeit und der Affektivität des Mannes fördert, wenn er in der Ausbildung lernt, wie er die Beziehung zu den Frauen leben kann.

Sie haben mehrfach gesagt, dass die Frage der Frauen von Seiten der Kirche einen bedeutenden Einsatz verlangt und dass nicht genug getan wird. Warum wird die Dringlichkeit dieses Themas nicht erkannt?

Die letzten vierzig Jahre waren zumindest im Westen von großen sozialen Umwälzungen geprägt. Das Bewusstsein für die Beteiligung der Frauen an der Welt der Arbeit, am öffentlichen Leben ist sozusagen noch ziemlich neu. Die Kirche geht langsam voran. Wir haben eine Verspätung aufzuholen, weil die Gesellschaft noch weitergegangen ist. Es hat auch dazu beigetragen, den Anspruch aufzuhalten, vollkommene Parität zu erreichen, im Bereich des Amtes, als würde die Verschiedenheit der Geschlechter überhaupt nicht zählen. Auch hier stehen wir vor einer ideologischen männlichen Vereinheitlichung, die sich aufdrängt. Es ist wirklich Kreativität notwendig. damit es eine größere Beteiligung von Frauen gibt, zum Beispiel in der prophetischen Sendung, im Zeugnis und auch in der Leitung. Es gibt viele Ordinariate, wo Frauen als Kanzlerinnen die Pastoral koordinieren. Aber das Problem ist das klerikale Kirchenmodell: In der Kirche zählt, wer eine Rolle im Vordergrund hat, das heißt: wer das Wort Gottes verkündet, wer die Sakramente spendet. Als wären die Priester die wesentliche Wirklichkeit der Kirche, aber dem ist nicht so. Das Zentrum der Kirche ist nicht das Amt, es ist die Taufe, das heißt der Glaube. Und gerade das Glaubenszeugnis ist ein Ort, wo die Frau einen einzigartigen Raum einnehmen kann.

Und was antworten Sie den katholischen Frauen, die sich über die Verklärung des »Genius der Frau«, über bestimmte Stereotypen in Bezug auf das Frausein ärgern? Jemand hat geschrieben, dass wir von der Frauenfeindlichkeit zur positiven Mythisierung übergegangen sind!

Das sind beides falsche Haltungen, die letztlich identisch sind. Es fehlt eine Grundauffassung. Ich denke, dass diesbezüglich auch die theologische Reflexion weitere Schritte zu gehen hat, ebenso wie die anthropologische und spirituelle Reflexion über die Frau oder über die Beziehung Mann-Frau. Jahrhundertelang hat die Exegese in der »Imago Dei«-Lehre, der Lehre vom Bild Gottes, vollkommen abgesehen von der geschlechtlichen Verschiedenheit. Warum? Weil Gott Geist ist. Aber der Sinn des Textes aus dem Buch Genesis besteht in dieser Dynamik der Liebe zwischen Mann und Frau, die Bild Gottes ist. Das heißt das Paar als solches. Jetzt haben die Exegeten diesen Gedanken weiterentwickelt. Aber um ihn in die Kultur zu übertragen ist es notwendig, das aufzunehmen, was Mann und Frau sind.

Dass von denen, die sich aktiv am Leben der Pfarrgemeinden beteiligen, die große Mehrheit Frauen sind, ist bereits sprichwörtlich geworden. Woher kommt dann die Vorstellung, dass die Kirche eine männlich-chauvinistische Realität sei? Vielleicht, weil das geweihte Amt den Männern vorbehalten ist und dies zu einer Unterlegenheit der Frauen in der Kirche führt und sie auf weniger »edle« Aufgaben verweist?

Danke für diese wichtige Frage. Die Antwort lautet: weil das Modell klerikal ist. Wenn die Frau keine Machtfunktion hat, dann existiert sie nicht. Dagegen ist die Funktion sehr sekundär, weil sie im Dienst der Taufe steht, weil sie die Gotteskindschaft im Herzen der Menschen lebendig machen muss. Das ist die Kirche! Und alles andere, die Verkündigung des Wortes, die Spendung der Sakramente, dient dazu, diese grundlegende Wirklichkeit lebendig werden zu lassen. Papst Franziskus sagt dies, indem er einen Gedanken von Hans Urs von Balthasar aufgreift. Er sagt, dass in der Kirche Maria über Petrus steht, weil Maria das mit der Taufe verbundene allgemeine Priestertum in seiner höchsten Form darstellt, sie ist die Vermittlerin der Gabe des fleischgewordenen Wortes an die Welt. Und daher ist die Gestalt der Kirche weiblich, weil der Glaube die Aufnahme des Wortes ist und es eine grundlegende Aufnahme der Gnade gibt, die weiblich ist. Maria ist deren Symbol. Dieses Ekklesiologie nenne ich »hochzeitlich«, denn wenn ich hochzeitlich sage, dann stelle ich die Liebe in den Vordergrund. Das gilt nicht nur für die Eheleute, sondern auch für das geweihte Leben, für das priesterliche Leben, für den priesterlichen Dienst, alles ist vereint in dieser hochzeitlichen Beziehung zwischen Christus und der Kirche, die der Welt das Geheimnis Gottes offenbart, der Liebe ist.

Von Romilda Ferrauto