In einem von Stille und Ernst geprägten Gottesdienst hat Papst Franziskus am Karfreitagabend im Petersdom des Todes Jesu gedacht. Zu Beginn betete er am Boden ausgestreckt vor einem mittelalterlichen Kreuz, das seit dem Pestjahr 1522 in Rom besonders verehrt wird.
Der Prediger des Päpstlichen Hauses, Kapuzinerpater Raniero Cantalamessa, hielt, wie es üblich ist, an diesem Tag die Predigt. Er ging auf die aktuelle Notlage ein und unterstrich, dass die Pandemie die Menschheit brüsk aus einer »Illusion der Allmacht« gerissen habe. Zugleich verwahrte er sich gegen eine Deutung solcher Unglücke als göttliche Strafe. »Wären diese Geißeln Strafen Gottes, ließe sich nicht erklären, warum sie gleichermaßen Gute und Böse treffen und warum die Armen gewöhnlich am meisten an den Folgen leiden. Sind sie größere Sünder als die anderen?
Der, der über den Tod des Lazarus geweint hat, weint heute über die Geißel, die über die Menschheit hereingebrochen ist. Ja, Gott leidet, wie jeder Vater und jede Mutter. Wenn wir das eines Tages herausfinden, werden wir uns für alle Anschuldigungen schämen, die wir im Leben gegen ihn erhoben haben. Gott nimmt an unserem Schmerz Anteil, um ihn zu überwinden.« Der heilige Augustinus habe geschrieben: »Da Gott überaus gut ist, würde in seinen Werken kein Böses zulassen, es sei denn, er ist in seiner Allmacht und Güte in der Lage, aus dem Bösen das Gute hervorzubringen.«
Der Kapuzinerpater erläuterte weiter, dass man Kreuz und Tod Jesu besser verstehen könne, wenn man den Blick auf das richte, was es bewirkt habe: »Gerecht gemacht durch den Glauben an ihn, Versöhnung und Frieden mit Gott und Erfüllung mit der Hoffnung auf ewiges Leben! (vgl Röm 53,1-5).
»Aber es gibt eine Wirkung, die wir in der gegenwärtigen Situation besonders gut erfassen können. Das Kreuz Christi hat die Bedeutung des Schmerzes und des menschlichen Leidens verändert, jeder Art von Leiden, physisch und moralisch. Es ist nicht länger eine Strafe, ein Fluch. Es wurde an seiner Wurzel erlöst, als der Sohn Gottes es auf sich nahm. Was ist der sicherste Beweis dafür, dass das Getränk, das uns jemand anbietet, nicht vergiftet ist? Es ist der Beweis, wenn diese Person vor uns aus demselben Kelch trinkt. Das ist es, was Gott getan hat: Am Kreuz trank er vor der ganzen Welt aus dem Kelch des Schmerzes bis auf den letzten Tropfen. Auf diese Weise zeigte er uns, dass es nicht vergiftet ist, sondern dass sich am Boden eine Perle befindet.«
Der heilige Johannes Paul II. habe nach dem Attentat vom Krankenhausbett aus geschrieben: »Leiden bedeutet, besonders empfänglich zu werden, besonders offen für das Wirken der heilbringenden Kraft Gottes, die der Menschheit in Christus angeboten werden.« Dank des Kreuzes Christi sei das Leiden auf seine Weise auch zu einer Art »universellem Sakrament des Heils« für die Menschheit geworden.
Die Krise bringe außerdem die Solidarität zwischen den Menschen zum Vorschein, betonte Cantalamessa. Das Virus kenne keine Grenzen und habe »alle Barrieren und Unterschiede eingerissen«. Die schlimmste »Rezession« wäre, wenn die jetzt gezeigten gemeinsamen Anstrengungen nicht über die Pandemie hinaus Bestand hätten.
Weiter verwies der Kapuziner auf das Mobilisierungspotenzial in der Krise. Jetzt sei es an der Zeit, die »grenzenlosen Ressourcen, die für die Rüstung aufgewendet werden«, für Gesundheitsvorsorge, Armutsbekämpfung und ökologische Aufgaben einzusetzen. Damit hinterlasse man der kommenden Generation eine Welt, die »ärmer an Dingen und Geld, aber reicher an Menschlichkeit« sei, so Cantalamessa.
Zum Abschluss der Predigt sagte er: »›Nach drei Tagen werde ich auferstehen‹, hatte Jesus vorhergesagt (vgl. Mt 9,31). Auch wir werden nach diesen Tagen, die hoffentlich kurz sein werden, auferstehen und aus den Gräbern unserer Häuser herauskommen. Aber nicht, um wie Lazarus in das frühere Leben zurückzukehren, sondern in ein neues Leben, wie Jesus. Ein geschwisterlicheres, menschlicheres, christlicheres Leben!«
Dem Gottesdienst wohnten wegen der Corona-Pandemie außer Personen mit liturgischen Aufgaben nur rund ein Dutzend Ordensfrauen, Geistliche und Laien bei, die einzeln in den Bänken saßen. In die Reihe der zehn großen Karfreitagsfürbitten wurde eine elfte eingefügt, in der um Trost und Kraft für Erkrankte und medizinisches Personal sowie um die ewige Ruhe für die Verstorbenen gebetet wurde. Es folgte die Verehrung des Kreuzes, bei der Franziskus minutenlang schweigend mit gesenktem Kopf vor dem Kruzifix verharrte.