Die Studie
Die Stimmen der Frauen fanden im zweiten nachchristlichen Jahrhundert großen Widerhall in den christlichen Kreisen Phrygiens. Aus ihrer Mitte tat sich eine Prophetin namens Maximilla hervor. Im Chor der Theologinnen des Frühchristentums war sie eine Stimme, die gehört wurde; sie versammelte zahlreiche Anhänger um sich, und auch noch nach ihrem Tod behielt ihre Gestalt ihre Bedeutung in den christlich-montanistischen Milieus, die auf Montanus zurückgehen, der vielleicht ein ehemaliger Priester der Kybele war und der behauptete, im Namen des Heiligen Geistes zu sprechen. Der vorliegende Text ist dem von Silke Petersen, Outi Lehtipuu und Arianna Rotondo in der Reihe »La Bibbia e le Donne« erschienenen Band »Scritti apocrifi e scritti di donne tra primo Cristianesimo e tardo antico« entnommen, der im Verlag Il Pozzo di Giacobbe erschienen ist.
In dem Porträt, das ihre Gegner von ihr gezeichnet haben, ist Maximilla eine wilde, ekstatische Frau mit einem barbarischen Namen, die zusammen mit der Prophetin Priscilla eine Anhängerin des Propheten Montanus war. Finanziell gesehen soll sie auf großem Fuß gelebt haben, sich mit Juwelen geschmückt und sich oft geschminkt haben. Es ist insofern verständlich, dass sie ihren Ehemann verlassen haben soll, um mit ihrer Häresie aufrechte Christen zu verführen. Einige sind der Ansicht, sie selbst habe ihrem »sinnlosen« Leben ein Ende gesetzt.
Diese Auswahl an ketzerfeindlicher Polemik zeigt, dass Maximillas Gegner sich viel einfallen lassen mussten, um diese so populäre Prophetin in Misskredit zu bringen. Denn auch wenn Maximilla nur eine kurze Zeit lang eine große und treue Schar von Anhängern hatte, wirkte der Reichtum ihrer Theologie doch noch sehr lange nach. Kurz nach ihrem Tod baten ihre Anhänger die Kirche um Charismen und verließen die traditionelle kirchliche Gemeinschaft.
Maximillas vier als Sprüche bezeichnete Logien bieten eine einzigartige Chance, die Theologie und das theologische Selbstverständnis einer Prophetin dieser frühen Periode zu verstehen. Jenseits aller gegen ihre Person gerichteten Polemik entsteht dank ihrer eigenen Worte ein Bild von ihr.
In ihrem von Epiphanios, Bischof von Salamis, im Panarión, einem monumentalen Verzeichnis häretischer Lehren, überlieferten Logion präsentiert sich Maximilla expressis verbis in ihrer Rolle als Prophetin:
»Der Herr hat mich gesandt …, Träger, Herold und Ausleger dieser Last und dieses Bundes und dieser Verheißung zu sein, um die Erkenntnis Gottes zu vermitteln« (Pan. 48, 13,1).
Maximilla vermittelt die Mysterien Gottes, die ihre Kenntnis ermöglichen. Darin ist sie Hermeneutin, Auslegerin, d.h. sie erkennt etwas, das sie übersetzen bzw. ableiten kann. Sie legt zum Nutzen der anderen die Geheimnisse Gottes aus. Sie charakterisiert den Inhalt dieser Geheimnisse Gottes als eine Verheißung, und die Tatsache, dass sie durch die Prophetie offenbart werden, beweist das Anbrechen des Zeitalters des Neuen Bundes. Sie führen zum Ende der Welt, das bald beginnen werde. Maximilla hält sich für die letzte Prophetin einer Reihe von Propheten, die dem Weltende vorausgehen: »Nach mir wird es keinen Propheten mehr geben, sondern die Vollendung« (Pan. 48, 2,4).
Das werde nach ihrem Tod eintreten. Mit dem Ende der Welt werden sich alle Geheimnisse Gottes erfüllen, die bis zu jenem Augenblick von der Prophezeiung des Neuen Bundes offenbart werden konnten. Maximilla zufolge kann und darf es dann keine weitere Prophetie mehr geben. Bis zu jenem Augenblick sieht sie die Gegenwart als eine Zeit des Schmerzes, lehnt sich aber dennoch nicht gegen diese Erfahrung des Leidens auf, vielmehr weiht sie sich diesem als Jüngerin desselben. Auf diese Art identifiziert sie sich mit dieser Dimension des gegenwärtigen Lebens. Es ist unklar, worin das Leiden besteht, auf das sie sich bezieht, aber es ist plausibel, dass es dabei um gesellschaftlichen Druck geht. Eine andere Möglichkeit ist ihr persönliches Leiden, das sie infolge der von ihren Gegnern verursachten innerlichen Unterdrückung erleidet, die sie als falsche Prophetin in Misskredit bringen wollen.
Indem sie sich mit dem Leiden identifiziert, macht Maximilla klar, dass sie durch keinerlei Form der Behinderung von ihrer Rolle als Verkünderin des Neuen Bundes abgebracht werden kann. Maximilla erlebt diese Rolle auf eine so starke Art und Weise, dass sie sagt, dass sie gezwungen sei, sie auszuüben. Was sie selbst will ist also unwichtig.
Keinerlei Widerstand kann sie daran hindern, sich für den Neuen Bund zu engagieren, noch nicht einmal die Verfolgung innerhalb der Kirche. Wie Eusebius, Bischof von Caesarea, in seiner Kirchengeschichte berichtet, widersetzt sie sich ihren Gegnern, die sie für eine falsche Prophetin halten, mit den folgenden Worten:
»Wie ein Wolf werde ich von den Schafen ferngehalten, aber ich bin kein Wolf: ich bin Wort, Geist und Kraft.«
Unter Nutzung des Evangelisten Matthäus (»Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch in Schafskleidern, im Inneren aber sind sie reißende Wölfe«) haben ihre Gegner aus dem Kreis der Christen sie als einen Wolf beschrieben, der die Schafe angreift. Aber Maximilla nimmt ihre Worte auf und kehrt die Situation um: sie ist kein Wolf, aber sie wurde wie ein Wolf von ihren Schafen entfernt, »verfolgt«. Auf diese Weise spielt sie auf die »Hirten« an, auf die kirchlichen Autoritäten, die sie daran hindern wollen, ihrer Aufgabe als Prophetin nachzugehen. Maximilla wirkt dem matthäischen Bild kraftvoll mit Hilfe der paulinischen Sprache entgegen, als sie bekräftigt, dass sie kein Wolf, sondern vielmehr Wort, Geist und Kraft sei. Eben dadurch schreibt sie sich selbst die höchsten Attribute der Verkündigung zu, ja sie geht gar so weit, sich mit ihnen in einer Form der Selbstdarstellung zu identifizieren. Maximilla bedient sich wiederholt auf höchst subtile Weise des paulinischen Sprachstils. Sie identifiziert sich mit dem Apostel in seiner Rolle als Prediger, der genau wie sie innerhalb der christlichen Gemeinde verfolgt wird. Außerdem sieht sie sich in einer Reihe mit ihm als Verkünderin des Wortes gegen jeden Widerstand, selbst jenen ihres eigenen Willens. Zu Maximillas Zeit ist es nicht mehr üblich, den Titel eines »Apostels« zu führen, der den vergangenen Generationen zukommt. Der »Propheten«-Titel, unter dem sie im Panarión des Epiphanios belegt wird, überträgt den Titel des Apostels auf die Zeit des bevorstehenden Endes der Welt.
Maximilla ist in allen Logien persönlich stark in ihre Prophetenrolle involviert; einzig und allein im Logion des Anrufs ist ihre Figur in eine gewissen Distanz gestellt, aber dennoch in der relationalen Formulierung als präsent vorausgesetzt: »Hört nicht auf mich, sondern hört auf Christus« (Pan. 48, 12,4).
Dieses Logion passt zu dem christologischen Aspekt der Theologie Maximillas, der bisher noch nicht behandelt wurde. Sie versteht Christus als denjenigen, der die Geheimnisse Gottes verkündet. Wenn sie als Geist Gottes spricht, vermittelt sie die Worte Christi. Überdies ist Christus in seiner Eigenschaft als Kyrios derjenige, der sie als Botin gesandt hat. Maximilla betont ihre Geschlechtszugehörigkeit in keinem der überlieferten Logien. Vielmehr überrascht die Verwendung der Maskulin-Formen: sie bekräftigt, dass es nach ihr keinen prophetes (Propheten) mehr geben werde. Die dementsprechende weibliche Form müsste prophetis (Prophetin) lauten. Diese Lesart ist auch in einigen Handschriften bezeugt, aber als lectio difficilior müsste die Maskulinform die ursprüngliche sein. Der Fund von ausschließlich der männlichen Form wäre nicht allzu überraschend, insofern Maximilla diesen Begriff für ein Kollektiv von Propheten verwendet, in dem es auch männliche Kandidaten geben konnte. Aber Maximilla entscheidet sich für keine einzige Feminin-Form bei ihrer Beschreibung ihrer Rollen als Verteidiger (airetistes), Herold (menytes) und Ausleger (ermeneutes). Wie im Sprachgebrauch der koiné, der griechischen Umgangssprache üblich, hätte sie die Möglichkeit gehabt, diese Substantive mit einem weiblichen Artikel zu feminisieren. […] Wenn Maximilla sich mit männlichen Attributen präsentiert, verleiht sie sich selbst Kraft. Das weisen [Silke] Petersens [deutsche Theologin und Bibelkundlerin, eine der Herausgeberin des Bandes] Beobachtungen zu den antiken Texten nach, die (»zumindest im mythologischen Sinne«) von der Überwindung der Geschlechtergrenzen sprechen: die Männlichkeit steht dort für einen Zustand wünschenswerter Stärke, während Weiblichkeit einen problematischen und verletzlichen Zustand darstellt. Das von [Silke] Petersen angeführte Zitat des Origenes [Theologe, Philosoph und christlicher Exeget, gestorben 254 n.Chr.], wo das Weibliche und das Männliche als soziale Kategorien betrachtet werden, demonstriert diese Haltung ganz klar und deutlich:
»Denn bei Gott gibt es keine Unterscheidung nach dem Geschlecht, aber aufgrund des unterschiedlichen Geistes wird jemand bestimmt, Mann oder Frau zu sein. Wie viele Frauen werden von Gott nicht unter die starken Männer gerechnet, und wie viele Männer müssen nicht unter die schwachen und faulen Frauen gezählt werden?«
Massimilla hüllt sich keineswegs nur in männliche Attribute. Auch andere – in diesem Falle ihre Gegner aus den christlichen Gruppierungen – belegen sie zudem mit der Wolfs-Metapher. Der Wolf ist nicht besonders geeignet als Metapher zur Anzeige der Weiblichkeit, aber er drückt Stärke und Gefährlichkeit aus. Maximillas Selbstdarstellung, die sie dem Bild des Wolfes (siehe oben) entgegensetzt, weist als zentrales Element das Pneuma (den Geist) auf, das Petersens Beobachtungen zufolge in den antiken Texten wieder sehr präsent ist, vor allem im direkten Zusammenhang mit dem Männlichen. Maximilla ist also keineswegs schwächer als ihre Gegner, die von den dem männlichen Geschlecht angehörigen Bischöfen Zoticus von Comana und Julian von Apamea angeführt wurden. Eusebius hingegen versichert, dass diese Männer es nicht mit ihrem Geist aufnehmen konnten.
Es ist schwierig, vergleichbare Äußerungen zu anderen Frauen der Antike aufzufinden, die mit männlichen Attributen ausgestattet waren, da uns nur wenige Selbstaussagen von ihnen überliefert sind. Am Ende des II. Buches der Sibyllinischen Orakel (180 n. Chr.) wählt die Prophetin weibliche Formen für Selbstauskünfte und gibt auf sie selbst bezogene Untergangsprophezeiungen von sich. Die Prophetin beschimpft sich selbst mit eindeutig weiblichen Attributen wie »arm«, »dumm« und »Hündin«, jeweils in ihrer weiblichen Form. In Übereinstimmung mit Petersens Beobachtungen zur Geschlechtertransformation ist hier gerade ihre schwache Seite im Spiel. Maria beschreibt sich in ihrem Lobgesang (Lk 1,48) nicht als Prophetin, sondern präsentiert sich in Beziehung zu Gott. Lukas legt Maria die Selbstbezeichnung als »Magd« in den Mund, in einer entschieden weiblichen Form (ungefähr 80-100 n. Chr.). Proba, eine römische Aristokratin und Dichterin, die sich in ihrem biblischen Cento [einem aus Zitaten zusammengesetzten »Flickengedicht«] (384 n. Chr.) als Seherin präsentiert, wählt den lateinischen Begriff vatis, um sich selbst zu charakterisieren. Vatis [»Seher«] gibt es sowohl in der männlichen als auch in der weiblichen Form, es ist ein gemeinsames Nomen. Bei den Heiden spricht Apollon durch den Mund der Priesterin Saturnila, der »Tempeldienerin«, ein gemeinsames Nomen. Das Orakel von Didyma über die Priesterschaft der Artemis wird vom »Herrn selbst« und von der Göttin verkündet. Die »Göttin« wird so bezeichnet, in weiblicher Form. Maximilla mit ihren entschieden männlichen Formen bleibt daher im spärlichen Quellenmaterial zur Selbstdarstellung antiker Frauen ohnegleichen.
Auch wenn es sich nicht um eine Selbsterklärung handelt - das bleibt ungewiss -, stelle ich die Märtyrerin Perpetua dennoch Maximilla zur Seite: kurz vor ihrem Martyrium wird Perpetua in ihrer wohlbekannten und letzten Vision zum Mann (facta sum masculus), sie kämpft gegen ihren Angreifer, den großen und starken Ägypter, den sie dann im Zweikampf besiegt.
Über die männlichen Selbstbezeichnungen hinaus zeigt Maximillas Logion, wie sie in ihrer Eigenschaft als Prophetin in der Lage ist, die Worte des (männlichen) Christus wiederzugeben. Auch hierfür gibt es im frühen Christentum keine konkrete Parallele, da uns dazu keine Dokumentation überliefert ist. Wir finden eine einzige Erwähnung der Prophetin bei Tertullian, in seinem De anima, wo es heißt, dass sie mit den Engeln und mitunter auch mit dem Herrn kommuniziere. Allerdings kann man Tertullians Beschreibung nicht entnehmen, ob der Herr auch durch diese Prophetin spreche. Hingegen gibt es im heidnischen System der Orakel diverse Parallelen hinsichtlich der Tatsache, dass ein männlicher Gott durch ein weibliches Medium sprechen kann, wie es das Beispiel der Saturnila demonstriert, durch die die männliche Gottheit Apollon sprach.
Von Heidrun Mader
Eine an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg promovierte und habilitierte evangelische Theologin und Historikerin des Frühchristentums, Inhaberin eines Lehrstuhls für Biblische Literatur und ihre Rezeption an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln.
Um die Lesbarkeit zu erleichtern, hat unsere Redaktion in Abstimmung mit der Herausgeberin der italienischen Ausgabe die im Buch vorhandenen Fußnoten gestrichen. Aus demselben Grund hat sie in Klammern ([]) einige Präzisierungen zu erwähnten Personen eingefügt.